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Sag, dass du eine von ihnen bist

Sag, dass du eine von ihnen bist

Titel: Sag, dass du eine von ihnen bist Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Uwem Akpan
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Unfälle versicherte, gar für die Kosten einer Beerdigung aufkam, wo doch Politiker den Menschen stets eine bessere Gesundheitsfürsorge versprachen, ihre Versprechen aber nie einlösten. Es war, als existierten dieses Gefährt und seine Gesellschaft in einer Traumwelt. Da der Busbahnhof, zu dem er geflüchtet war, im Süden von Khamfi lag, begann Jubril, all das Neue, was er erlebte, mit dem Mythos des Südens in Verbindung zu bringen. In seiner Vorstellung war der Süden weiter entwickelt als der Norden, auch wenn Ungläubige dort lebten. Er stellte sich asphaltierte Straßen und gut ausgestattete Krankenhäuser vor, riesige Märkte und Busbahnhöfe voll mit Luxusbussen. Er malte sich große Schulen mit bunten Gebäuden und gut ernährten Kindern aus und fand, dass es richtig war, dorthin zu fliehen. Er brauchte einen Platz, um sich zu verstecken, um zu genesen, und dem Wenigen zufolge, das er über diese Christen gehört hatte, war es kein Fehler gewesen, in Richtung Süden zu fahren.
     
    Je eifriger Jubril sich bemühte, nicht an diese Reise zu denken, um seine Tarnung besser aufrechterhalten zu können, desto stärker rebellierte er in Gedanken. Und wenn er nicht über die Umstände seiner Flucht nachsann, wanderten seine Erinnerungen weit in die Vergangenheit zurück zu einem fernen Ereignis, das irgendwie mit seiner Flucht aus Khamfi zusammenhing.
    So hatte ihm die Furcht vor jedem Stadium dieser Reise, die Angst, es vielleicht nicht bis zum nächsten Stopp zu schaffen, in diesen letzten beiden Tagen, insbesondere in Khamfi, Gedanken aufgedrängt, die er bis dahin nie für wichtig, ja, die er sogar für ketzerisch gehalten hätte. Obwohl er keine Erinnerung an seine Zeit im Süden besaß – oder an seine Taufe dort – und nie mehr an das väterliche Elternhaus gedacht hätte, wenn es nicht zu den Unruhen gekommen wäre, sehnte er sich nun da
nach zurück. Dabei fand er die Vorstellung, sowohl Christ wie Muslim zu sein, immer noch ziemlich irritierend. Hätte ihm jemand vor einem Monat gesagt, dass er heute hier stehen und versuchen würde, sich als Christ in einer Gruppe von Christen aus dem Süden auszugeben, hätte er das für eine Beleidigung oder eine Provokation gehalten und Allahs Verdammnis auf denjenigen herabgefleht.
    Mit Jubrils Geschichte war es wie mit der seines multireligiösen, multiethnischen Landes, die komplizierter als die eines einzigen Stammes oder einer einzigen Religion war. Sein Leben lang hatte er in Khamfi beim Volk seiner Mutter gelebt, den Hausa-Fulanis, und sich auch immer als Muslim und Bewohner des Nordens gesehen. Sich nun dem Leben im Süden anpassen zu müssen würde ihm dank seiner Hautfarbe keine Probleme bereiten. Es gab viele Menschen im Bus, die noch heller waren. Er hätte jeder ethnischen Gruppierung in diesem Land angehören können. Sorgen machte ihm nur, dass er nicht genug über das Christentum wusste, um in dieser Menge überleben zu können. Das schien ihm ein unüberwindbares Hindernis zu sein. Immer wieder räusperte er sich und griff nach dem Marienmedaillon, rieb mit den Fingern darüber und richtete seine ganze Aufmerksamkeit darauf, als teilte der Muslim in ihm jene katholische Verehrung, die er in Khamfi noch für ketzerisch gehalten hatte. Maria gebührte in seiner Religion durchaus großer Respekt, doch hatte er stets gefunden, dass die Christen zu weit gingen, wenn sie ihr abertausend Devotionalien widmeten und eigene Schreine für sie errichteten. Der Hinweis von Mallam Abdullahi, jenem Mann, der Jubril das Medaillon gegeben hatte, huschte ihm durch den Sinn: Hab kein schlechtes Gewissen, wenn du dies Medaillon trägst, denn für den Koran ist Maria die Mutter des Propheten Jesu. Jubril hätte es zwar vorgezogen, kein Medaillon zu tragen, doch genügte ihm diese theologische Rechtfertigung – außerdem hatte ihm sein Retter versichert, dass ihn alle Christen,
die ihn mit diesem Medaillon sahen, für einen Katholiken halten und ihn in Ruhe lassen würden.
     
    Aisha, Jubrils Mutter – wie ihr Sohn eine gertenschlanke, traurige Gestalt –, hatte ihm vor langer Zeit erzählt, dass er im Dorf seines Vaters geboren wurde, in Ukhemehi im Deltagebiet. Bartholomew, sein Vater, ein untersetzter, schweigsamer Mann, war Fischer und Bauer. Shehu, Jubrils Großvater mütterlicherseits, ein Kuhhirte, war mit dem Vieh von Khamfi im Norden in die Regenwälder des Deltagebietes gezogen – fort von der sich ausbreitenden Sahara. Eines führte zum anderen, und

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