Sag, dass du eine von ihnen bist
Gewalt ausbrach, kehrte Jubril vom Weiden der Kühe heim. Den Stock auf der Schulter, schlenderte er gemächlich hinter den Tieren her, die die ganze Breite des Sandwegs einnahmen, der von den Feldern nach Hause führte. Als zwei schrille Rufe aus der Stadt zu ihm herüberschallten, dachte er sich nichts dabei.
Der blaue Himmel war verschleiert vom Staub des Harmattan. Der starke Wüstenwind peitschte über das Land, blähte Jubrils babariga auf und trocknete seinen Schweiß. So nahe an seinem Zuhause hätte er eigentlich hupende Autos und Lastwagen auf der breiten Überlandstraße hören müssen, die nahe der Stadt vorbeiführte, doch vernahm er nichts außer den Geräuschen der Savanne, ein gelegentlich zu einem Pfeifton geschärftes, endloses Rauschen.
Als Jubril zur nächsten Wegkehre kam, verfiel das Vieh in einen Trott, da es sich auf die Tränke an einem der wenigen Tümpel im Tal freute. Jubril lief hinter den Tieren her, froh, bald die Reifensandalen ausziehen und die Füße im Wasser kühlen zu können, solange die Kühe tranken. Doch als sie sich an den Abstieg ins Tal machten, wurde die Herde von zwei Leuten erschreckt, die belaubte Äste trugen und Jubril zuriefen, er soll sich auch einen Zweig von einem der Büsche pflücken, nur konnte Jubril sie nicht richtig verstehen. Von den Ästen abgesehen trug der eine einen Karton, der andere einen Sack – ihr ganzes Hab und Gut. Sie rannten so schnell sie konnten in die Savanne, als hätten sie etwas gestohlen und der rechtmäßige Besitzer wäre ihnen auf den Fersen. Jubril nahm rasch den Stock zur Hand und trieb seine Herde auf die Seite, brachte sie zwischen sich und die mögliche Gefahr.
Als er zu den Tümpeln kam, wurde er stutzig, da er keine
weiteren Herden und Kuhhirten entdeckte. Für diese Uhrzeit war es ziemlich ungewöhnlich, dass das Flussrinnsal sauber und unaufgewühlt in die Teiche tröpfelte. Selbst die Bauern waren nirgendwo auszumachen, die sich zu dieser Stunde sonst um ihre Gärten kümmerten und den Kohl wässerten. Verlassen lag der Platz da, und die Gärten, leuchtend grün im staubigen Harmattan, erinnerten an frische Kränze auf einem alten Friedhof. Jubril sah sich um und stellte fest, dass die vor ihm heimgekehrten Herden im weichen Boden Hufabdrücke hinterlassen hatten, deren Ränder rissig und nach vorn gekippt waren, und dass der Kuhdung nicht in breiten Fladen auf dem Boden lag, sondern sich in jähen, krummen Streifen über den Boden zog. Er nahm an, dass die Tiere im Galopp an den Teichen vorbeigerannt waren. Rasch trieb er daraufhin seine Herde wieder an, und die Tiere hasteten heimwärts, er hinterher.
Plötzlich drang eine grölende Meute aus einer Seitenstraße auf Jubrils Weg, und die Leute zögerten einen Moment, ehe sie die andere Richtung einschlugen. Jubril war zwar noch ein Stück von der Kreuzung entfernt, doch war der Anblick so ungewöhnlich, dass die Kühe in panischer Angst erstarrten. Wie Schulkinder um einen akara -Verkäufer drängten sie sich an einer Stelle zusammen. Immer mehr Leute strömten auf den Weg und wirbelten Staub auf, der wie eine tief hängende Wolke über ihnen dahinzog. Sie trugen Äste und hielten Steine, Messer und Stöcke in der Hand; Jubril kannte einige von ihnen.
» Sanu Jubril, sanu Jubril!«, riefen Lukman und Musa, zwei von Jubrils Freunden. Sie lösten sich aus der Menge, rannten zu ihm und pfiffen und winkten dabei mit ihren grün belaubten Ästen.
» Sanu Lukman … sanu Musa!«, antwortete Jubril und winkte zurück.
Sie waren älter als Jubril. Musa war ein ungeschlachter Kerl mit nacktem Oberkörper, der einen – von Nicht-Muslimen
oft so genannten – »Sharia-Bart« trug, wie ihn Jubril auch gern gehabt hätte, wenn er denn mit solch kräftigem Bartwuchs gesegnet gewesen wäre. Außer dem belaubten Ast trug Musa ein Schwert, und Lukman umklammerte ein durchsichtiges Glas voll mit Benzin. Da er keinen Deckel dafür hatte, hielt er es mit der Hand zu, als er zu Jubril eilte, und Jubril nahm an, dass in der Ausbuchtung seiner Hemdtasche eine Schachtel Streichhölzer steckte.
»Hast du keinen Ast?«, fragte Lukman keuchend und zeigte auf Musas Zweig.
»Freunde, wetin denn los?«, wollte Jubril wissen, löste sich von der Herde und kam ihnen entgegen. » Kai, wetin diesmal das Problem?«
»Du kommst wohl nicht protestieren, ne ?«, sagte Musa.
»Wieso protestieren? Worum geht's denn?« Jubril wollte Musa in die Rippen stupsen, aber der wich ihm aus.
»Pfoten
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