Sag, dass du eine von ihnen bist
Monaten zu heiraten – auch wenn dies bedeutete, die dritte oder vierte Frau eines Mannes zu werden – oder ihre Stelle zu verlieren, waren Jubril, Musa und Lukman wie so viele Menschen zum Jubeln auf die Straße gelaufen. Sie waren davon überzeugt, dass die Scharia das ganze Land erfassen sollte. Bordelle und Bars wurden geschlossen. Als Manzikan warnte, dass man sich ohne Scharia-Bart nicht mehr um Regierungsaufträge bewerben könne, bildeten sich vor den Barbiergeschäften lange Schlangen frommer Männer, die darauf warteten, dass ihnen ein Scharia-Bart frisiert wurde. Jubril hatte Musa sogar zum Barbier begleitet.
Deshalb lachte Jubril jetzt über die Anschuldigungen seiner Freunde, fischte aus seiner Tasche ein kleines Bild des heldenhaften Gouverneurs und hielt es hoch, damit alle es sehen konnten. Lukman und Musa aber ließen nicht locker, ja, sie bestanden darauf, dass sie mit Jubril an ihrer Seite niemals gegen Christen kämpfen könnten.
»Der ist ausm Süden«, sagte Musa. »Ungläubig.«
»Feind unter uns«, sagte Lukman. »Wie sollen wir gegen diese barbarischen Christen kämpfen, wenn einer von uns zu denen gehört?«
Erst jetzt dämmerte es Jubril, dass der Mob unterwegs nach Kamdi Lata war, der christlichen Wohngegend, und nach Shedun Sani, dem gemischten Stadtviertel, um einen Krieg gegen die Christen anzuzetteln. Die Beschuldigungen der Freunde wurden dadurch noch schmerzlicher. Auf der Stelle schwor er bei Allah, ein wahrer Muslim zu sein, nur genügte das nicht. Angesichts der im Land herrschenden Spannungen war es der denkbar schlechteste Zeitpunkt und lebensgefährlich, wenn jemand wen denunzierte, aus dem Süden zu stammen oder
vom wahren Glauben abgefallen zu sein. Jubril versuchte, der wachsenden Menge klarzumachen, dass seine Ankläger ihm Geld schuldeten und dass sie sich weigerten, es ihm zurückzuzahlen, was ja der Wahrheit entsprach. Lukman und Musa aber beharrten darauf, dass Jubril nicht zu ihnen gehörte, auch wenn er Hausa mit genau dem richtigen Tonfall sprach. Jubril wollte die Sache mit dem Tod seines Bruders erklären, wurde jedoch daran gehindert. Er wollte seinen Stumpf zeigen, aber man drohte, ihm den Diebstahl einer weiteren Ziege anzulasten, und riet ihm, endlich mit den Ausflüchten aufzuhören und einzugestehen, dass die beiden recht hatten. Als Jubril begriff, was Sache war, wollte er seine Herkunft darlegen, so wie seine Mutter ihm davon erzählt hatte, doch war das eine Geschichte, die er nicht sonderlich gut kannte und um die er sich bis zu diesem Zeitpunkt auch nicht weiter geschert hatte.
»Bist doch getauft worden als Baby?«, sagte Musa, ein verschlagenes Lächeln auf den Lippen. »Dich kennen wir, dich und deine Taufstory.«
»Antworte, los!«, rief einer der Umstehenden.
»Keine Zeit verplempern«, sagte ein anderer.
Vielleicht hätte er in friedlicheren Tagen die Chance erhalten, sich vor einem Scharia-Gericht zu erklären. Vielleicht wäre es zu einem Prozess und einer fairen Verhandlung gekommen, aber dies waren wilde Zeiten. Als er jetzt die Sache mit dem Geld, das Musa und Lukman ihm schuldeten, zu erklären versuchte, schlug Musa ihn nieder. Man zog ihm die babariga aus und fiel mit Knüppeln und Steinen über ihn her. Scheinbar war Musa so wütend, dass er vergaß, das Schwert zu zücken, weshalb er mit der Scheide auf ihn einprügelte. Jubril lag auf dem Boden, zusammengekrümmt, stöhnte und hielt sich die Hände schützend über den Kopf. Er kümmerte sich nicht um seine vielen Wunden, wischte sich nicht mal das Blut ab, sondern lag einfach nur da, während ihm der Kopf schwoll, ihn der Schwindel packte und die Erde sich um ihn drehte.
Schon bald spürte er die Hiebe nicht mehr. Als er ein Auge aufmachte, sah er, dass der Ring der Zuschauer sich weitete und die Schläger von ihm abließen. Einige machten sich daran, seine Kühe fortzutreiben. Erst als Jubril sah, dass Lukman zum Benzinglas ging, raffte er all seine Energie zusammen, sprang auf und rannte davon. Das überraschte seine Gegner, damit hatten sie nicht gerechnet. Jubril rannte zum Gebüsch, zu den Tümpeln, doch sie jagten hinter ihm her und schrien: » Allahu Akbar, Allahu Akbar! «
Jubril erinnerte sich, sehr schnell gelaufen und doch darüber verblüfft gewesen zu sein, dass er sich, angesichts seiner Wunden, überhaupt bewegen konnte. Ein Blick zurück verriet ihm, dass die Reihen seiner Verfolger angeschwollen waren; selbst jene, die Lukman und Musa das Verbrennen
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