Sag, es tut dir leid: Psychothriller (German Edition)
Sie den Coroner entscheiden, was mit Natasha McBain geschehen ist.«
Ich klopfe an die Tür. »Sie machen einen Fehler. Augie Shaw hat die Bingham Girls nicht entführt.«
Fryers Gesicht läuft rot an. »Und das wissen Sie mit Sicherheit?«
»Es war jemand Älteres, mit mehr Erfahrung. Jemand mit Insiderkenntnissen.«
»Was für Insiderkenntnisse?«
»Die Polizei hat die Tatsache, dass Emily Martinez am Sonntagmorgen auf die Mädchen gewartet hat, unter Verschluss gehalten. Wer immer die Mädchen verschleppt hat, wusste es jedoch. Das heißt, es muss jemand sein, der den Familien nahesteht oder mit den Ermittlungen zu tun hat.«
Fryer wedelt abschätzig mit seinen Handschuhen. »Das ist aber eine ziemlich große Ansage für jemanden, der erst seit ein paar Tagen hier ist. Der Fall war Gegenstand zweier polizeilicher Ermittlungen und einer richterlichen Prüfung.«
»Wenn Sie die Akte schließen, geben Sie Piper Hadley auf.«
»Ich habe mich bemüht, in der Sache offen zu bleiben, Professor, doch es gibt nicht ein glaubhaftes Indiz dafür, dass Piper noch lebt. Wenn sie mit Natasha McBain geflohen ist, hätten wir sie mittlerweile gefunden. Da wir das nicht getan haben, lautet die Frage: Warum nicht? Meine Vermutung ist, weil sie tot ist. Sie ist vor drei Jahren oder irgendwann zwischen damals und heute gestorben.«
»Das wissen Sie nicht.«
»Bei aller Fairness, Professor, Sie auch nicht.« Seine Stimme wird sanfter. »Sie sind der Typ Pokerspieler, der seinen Einsatz verdoppelt, wenn er heftig verliert, weil er glaubt, so könne er sein Glück noch einholen. Aber so ist es nicht. Man verdoppelt, wenn man gewinnt, nicht, wenn man verliert. Glauben Sie mir. Lassen Sie es gut sein.«
Der Chief Constable wendet sich wieder Drury zu. »Wie ist Ihr Plan für das weitere Vorgehen?«
»Ich habe eine Pressekonferenz mit den Hadleys organisiert. Wir durchsuchen die Gegend noch einmal, überprüfen Alibis und befragen einige Zeugen erneut. Wenn sich nichts ergibt, fahre ich die Ermittlung zu Weihnachten runter und bereite die Akte für den Coroner vor.«
Fryer nickt anerkennend. »Alle Optionen abdecken. Sehr klug.«
32
Ruiz tritt zu mir in den Fahrstuhl, und wir fahren schweigend nach unten. Die Wirkung meiner Medikamente lässt nach. Ich spüre, wie der »andere« in mir aufwacht, bereit, zu tanzen wie ein Betrunkener.
»Sie glauben nicht, dass Piper noch lebt«, sage ich.
»Vielleicht haben sie recht.«
»Sie hat mehr verdient.«
Die Tür gleitet auf. Mein rechtes Bein blockiert, und ich falle nach vorn. Ruiz fängt mich auf. Ich richte mich gerade auf, straffe die Schultern und versuche so zu tun, als wäre nichts passiert. Ich kann unser Spiegelbild in einer großen Glasscheibe neben der Tür sehen – ein hinkender Mann und ein zweiter mit einem zuckenden Arm. Beide stolz, beide mit einem körperlichen Schaden.
»Du musst nicht hierbleiben«, erkläre ich ihm. »Du solltest zurück nach London fahren. Wo bist du eigentlich Weihnachten?«
»Claire hat mich zu sich eingeladen. Ich befürchte, Miranda könnte auch da sein.«
Claire ist Ruiz’ Tochter, Miranda seine jüngste Exfrau, mit der er immer noch schläft.
»Ich dachte, ihr beiden zerwühlt munter die Laken«, sage ich.
»Über den Sex beschwere ich mich auch gar nicht, aber sie will, dass ich Gefühle habe.«
»Gefühle?«
»Ich habe ihr erklärt, ich habe genau drei.«
»Drei?«
»Ich bin hungrig, geil und müde – in der Reihenfolge.«
»Und wie ist das angekommen?«
»Nicht so gut.«
Wir haben den Eingang erreicht, als mir einfällt, ihn etwas zu fragen. »Dieser Hacker-Freund von dir …«
»Capable Jones.«
»Hast du noch Kontakt zu ihm?«
»Mir gehört seine Seele. Was brauchst du?«
»Kannst du ihn bitten, sich Zugang zu Luftaufnahmen und Karten von Oxfordshire zu verschaffen. Mich interessieren Fabriken, in denen Pestizide, Plastik, Kunstgummi oder Ähnliches produziert werden. Oder früher mal produziert wurden. Die Obduktion hat Spuren von Schwermetallen und chlorierten Kohlenwasserstoffen unter Natashas Fingernägeln nachgewiesen.«
»In welchem Bereich suchen wir?«
»Im Umkreis von sechs bis acht Kilometern um das Bauernhaus.« Er wirft mir einen Blick zu. »Du denkst, ich klammere mich an Strohhalme.«
»Atheisten sollten nicht um Wunder bitten.«
Im Erdgeschoss wird Victor McBain nach zehn Stunden in Polizeigewahrsam entlassen. In einem blauen Papieroverall unterschreibt er das Entlassungsformular und bekommt
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