Sag, es tut dir leid: Psychothriller (German Edition)
meisten Menschen sind über die Feiertage weggefahren. Nachzügler steigen aus Bussen und tragen Vorräte nach Hause.
Ruiz hält vor dem Haus. Die Auffahrt ist leer. Niemand reagiert auf das Klingeln. Ich sehe bei der Garage nach, aber alles ist dunkel.
»Niemand zu Hause«, ruft Ruiz, nachdem er es an der Hintertür probiert hat.
Emily hat mir ihre Handynummer gegeben. Ich finde sie in meinem Adressbuch und wähle. Sie geht nicht dran. Ihre Mailbox springt an.
» Hi, ich bin’s. Ich mache offensichtlich gerade etwas sehr Cooles und Aufregendes, deshalb kann ich nicht ans Telefon gehen. Wenn du eine Nachricht hinterlässt, rufe ich vielleicht zurück oder auch nicht. Nach dem Piepton … Ciao .«
Ich wende mich Ruiz zu.
»Irgendwelche Ideen?«
»Vielleicht arbeitet sie.«
Die Telefonauskunft verbindet mich mit der Apotheke. Eine Frau meldet sich. Sie klingt hektisch.
»Arbeitet Emily Martinez heute bei Ihnen?«, frage ich.
Die Frau seufzt, angewidert. »Sie ist nicht zur Arbeit erschienen. Sie hat uns kurzfristig sitzen lassen.«
»Hat sie angerufen?«
»Nein. Sind Sie ein Freund von ihr?«
»Eher ein Bekannter.«
»Nun, wenn Sie sie sehen, können Sie ihr sagen, sie ist gefeuert.«
Idiot! Dumme, dumme Kuh!
Ich habe das Handy fallen lassen. Meine Hände waren so kalt, dass ich die Finger nicht schließen konnte. Und anstatt es aufzufangen, habe ich einen Fuß ausgestreckt und es in eine Pfütze gekickt. Das Display hat Risse. Nichts leuchtet auf.
Ich habe es kaputt gemacht. Scheiße! Scheiße! Scheiße!
Ich halte den Einschaltknopf gedrückt. Ich schlage das Handy gegen meine Handfläche. Es ist tot.
Wie sollen sie mich jetzt finden?
Ich sehe mich um und versuche, mich zu orientieren. Der Nebel hat sich gelichtet, etwa einen Kilometer weiter unterhalb kann ich durch die Bäume ein gepflügtes Feld mit Schneestreifen ausmachen. Aus dem Schlamm und Eis erhebt sich ein Strommast mit Kabeln. Stromkabel führen zu Orten, an denen Menschen leben, sie verknüpfen Städte.
Ich klettere über Felsen und bahne mir zwischen Bäumen einen Weg bergab. Ich komme nur langsam voran. Überall liegen tote Äste und Zweige auf dem Boden.
Es hat angefangen zu nieseln. Tropfen kleben an den Schultern der Jacke wie auf Wolle gestickte Glasperlen. Meine Füße sind nicht mehr taub. Jetzt brennen und jucken sie.
Von oben sah das Feld näher aus. Jetzt kann ich es gar nicht mehr entdecken. Alle Bäume sehen gleich aus. Einen Moment glaube ich panisch, die Orientierung verloren zu haben und im Kreis gelaufen zu sein. Aber es geht immer noch bergab.
Der Mann, der Joe heißt, hat gesagt, die Polizei würde kommen. Er klang nett. Er hat gesagt, ich soll in Bewegung bleiben und mich warm halten.
Der Wald dünnt aus. Das Feld liegt direkt vor mir. Ich kann den Strommast und in der Ferne eine Reihe von Bäumen sehen, die vielleicht eine Straße säumen. Hoffnung flackert in mir auf. Eine Straße führt bestimmt zu einem Haus oder einem Bauernhof.
Ich klettere auf einen umgestürzten Baumstamm und hangele mich an einem Ast entlang, um über den Zaun zu steigen. Die Jacke ist zu lang. Ich ziehe sie aus und werfe sie über den Draht, bevor ich selbst springe.
Der Boden ist nicht matschig, sondern hart gefroren. Der Regen ist heftiger geworden und prasselt auf meine Wangen wie aufgewehte Sandkörner. Es ist dunkler und kälter geworden.
Ich hüpfe querfeldein über die gepflügten Furchen, bis ich den Strommast erreiche, wo ich, in die Jacke gehüllt, eine Weile stehen bleibe und versuche, mich zu orientieren. Ich blicke an den Metallstreben, Balken und Nieten hoch. Die Stromkabel über meinem Kopf fallen ab und steigen am nächsten und am übernächsten Strommast wieder an.
In dem freien Gelände fühle ich mich nicht wohl. George könnte mich von der Hügelkuppe beobachten. Ich gehe auf eine Reihe von Bäumen zu, klettere über einen weiteren Zaun auf einen von Pfützen übersäten, schmalen Feldweg. In dem Schlamm sind Reifenspuren.
Ich spähe ins Halbdunkel jenseits einer Wegbiegung und kann das schräge Dach eines Hauses oder einer Scheune ausmachen, das sich blass vor dem Himmel abzeichnet. Ich will rennen, doch die Luft ist plötzlich wie Wasser, und ich fühle mich wie ein eingefetteter Schwimmer, der den Ärmelkanal durchquert.
Alles tut weh. Laufen, atmen, schlucken. Ich folge dem Weg um die Biegung und komme zu einem alten Briefkasten und dann zu einem Haus in einem überwucherten Garten.
Ich versuche, das
Weitere Kostenlose Bücher