Sag, es tut dir leid: Psychothriller (German Edition)
ihrer Brust. »Ich will sie sehen.«
»Ich glaube nicht, dass das …«
»Ich will meine Natasha sehen.«
»Sie müssen verstehen – sie war lange weg –, sie sieht nicht mehr aus wie früher.«
»Das ist mir egal. Sie ist meine Tochter.«
Drury sieht mich an, weil er will, dass ich Alice davon abbringe, doch ich habe Trauer in vielerlei Gestalt gesehen, und diese Mutter ist entschlossen. Es ist nicht so, als würde Alice Drury nicht glauben oder sich an die irrationale Hoffnung klammern, Tash könnte noch leben. Sie will sich entschuldigen. Sie will sich verabschieden.
Der DCI gibt nach. »In der Zwischenzeit werden wir eine Verbindungsbeamtin für die Familie einsetzen, die Sie über die Entwicklungen auf dem Laufenden hält. Fürs Erste werden wir keine Informationen an die Medien herausgeben. Für die Ermittlung wäre es uns lieber, dass niemand weiß, dass es Natasha war, die wir in dem See gefunden haben. Wir müssen Zeugen erneut vernehmen, Alibis überprüfen. Ich bin sicher, dafür haben Sie Verständnis.«
»Wie lange?«, fragt Hayden, als wäre es eine Strafzeit.
Drury erhebt sich zum Gehen. »Nur ein paar Tage.«
»Bevor wir gehen«, unterbreche ich, »habe ich ein paar Fragen an Mrs McBain.«
Alice sieht mich blinzelnd an, überrascht.
»Ich wollte Sie nach Natasha fragen.«
»Was ist mit ihr?«
»Wie war sie? Ich habe Fotos gesehen und die Aussagen gelesen, aber ich möchte es von Ihnen hören … in Ihren Worten.«
Hayden starrt mich ungläubig an. »Welchen Unterschied macht das jetzt noch? Sie ist tot!«
Ich ignoriere ihn und konzentriere mich auf Alice. »Ich bin Psychologe. Ich versuche zu verstehen, was geschehen ist. Indem ich mehr über Natasha weiß, kann ich auch Dinge über den Mann erfahren, der sie verschleppt hat.«
»Sie glauben, das war ihre Schuld?«
»Nein.«
Hayden will protestieren, aber Alice berührt seinen Unterarm mit den Fingerspitzen. Er schluckt seinen Ärger herunter und kaut an der Innenseite seiner Wange. Derweil beginnt Alice mit leisen Worten Natasha zu beschreiben. Statt körperlicher Details erwähnt sie bestimmte Momente, Beziehungen, Lieben. Natasha hatte einen Hund. Sie bekam ihn als Welpen zu ihrem zwölften Geburtstag, einen Jack Russell. Sie nannte ihn Basher. Sie waren unzertrennlich.
»Einmal hat Tash ihn sogar in die Schule geschmuggelt.« Alice lächelt. »Sie konnte eine Plage sein, doch sie war eine gute Schülerin, unsere Tash. Intelligent. Schnell gelangweilt. Es heißt, sie wäre von der Schule verwiesen worden, aber man hätte sie bestimmt zurückgenommen. Das hat Mrs Jacobson mir gesagt.«
»Wie verstand sie sich mit ihrem Vater?«
»Sie hatten so ihre Probleme miteinander.«
»Probleme?«
Alice zögert. »Man versucht, Grenzen zu setzen, wissen Sie. Und Kinder versuchen, sie zu durchbrechen. Tash wollte zu schnell erwachsen werden. Sie konnte nie auf irgendwas warten.«
»Hatte sie einen Freund?«
»Sie war sehr beliebt.«
»Hat sie je Drogen genommen?«
Ihre Augen werden schmal, und Hayden antwortet für sie.
»Was für eine Rolle spielt das, verdammt noch mal? Sie können hier nicht reinkommen und solchen Dreck über sie verbreiten. Sie ist tot! Was für ein Vollidiot …«
»Nicht in dem Ton«, sagt Alice leise. »Es gibt keinen Grund zu fluchen. Der Mann macht nur seinen Job.«
Hayden verstummt, innerlich brodelnd.
Vor dem Haus hält ein Wagen. Ich höre das Bumm Bumm eines Bassbeats aus einer bis zum Anschlag aufgedrehten Anlage, der die Luft zittern lässt. Es klingelt. Man hört Männerstimmen. Gelächter. Der Briefschlitz wird aufgeklappt.
»Hey, Hayden, wir wissen, dass du da drinnen bist.«
»Jetzt nicht. Ich hab zu tun.«
»Wir haben auch was zu tun.«
Hayden stolpert auf dem Weg zur Haustür beinahe über den Couchtisch. Fluchend erklärt er ihnen, dass sie abhauen sollen. Er erwähnt die Polizei und stößt weitere Beschimpfungen aus.
Alice steht langsam auf und sieht Drury an. »Ich muss jetzt zur Arbeit«, sagt sie und bewegt sich wie auf Autopilot.
Sie streckt die Hand aus. »Ich möchte Ihnen danken. Eine Menge Leute haben uns Versprechungen gemacht, als unsere Tash verschwunden ist. Nicht viele dieser Versprechen wurden gehalten. Ich möchte mich bedanken, dass Sie sie nach Hause gebracht haben.«
Im Flur zieht Drury seinen Mantel an, stolpert leicht und stützt sich an der Wand ab. Seine Augen glänzen. Er legt den Kopf in den Nacken und starrt an die Decke.
»Diese Frau hat sich gerade dafür
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