Sag, es tut dir leid: Psychothriller (German Edition)
Klassenzimmern und Physiksälen.
Ich gehe neben Ruiz. Er humpelt heute stärker, das Erbe einer alten Schussverletzung. Er ist zu stolz, einen Stock zu benutzen. Zu eitel.
»Warum hast du sie so angeknurrt?«
»Sie hat mich an meine alte Physiklehrerin erinnert.«
»Das ist alles?«
»Du kanntest meine Physiklehrerin nicht.«
Monica klopft an die Tür des Lehrerzimmers und fragt nach Miss McCrudden. Die Englischlehrerin ist Mitte dreißig und trägt eine dunkle Hose und eine Bluse mit einem Kaffeefleck. Ihre Finger sind mit blauen Filzstiftspuren übersät.
Die meisten Tische sind von Lehrergrüppchen besetzt, die Sandwiches oder aufgewärmte Suppe essen. Wir setzen uns in eine Ecke.
Miss McCrudden sieht mich nervös an.
»Dies ist keine offizielle Befragung. Niemand schreibt mit. Ich bin Psychologe und arbeite mit der Polizei zusammen. Ich versuche, so viel wie möglich über Piper und Natasha zu erfahren.«
Sie macht ein glucksendes kehliges Geräusch. »Reizende Mädchen.«
»Wie meinen Sie das?«
»Verzeihung?«
»Sie haben automatisch geantwortet, dass sie reizende Mädchen waren.«
»Das waren sie auch.«
»In welcher Beziehung reizend?«
»Sie waren sehr freundlich.«
»Hatten sie viele Freunde?«
Sie zögert. »Einige.«
»Aber nicht viele?«
» Wollen Sie mir unbedingt widersprechen?«
»Ich will die Wahrheit herausbekommen.«
Die Lehrerin sieht mich vorwurfsvoll an. »Heißt das, Sie halten mich für eine Lügnerin?«
»Ja. Verstehen Sie, Miss McCrudden …«
»Nennen Sie mich Kirsty.«
»Also, Kirsty, nach allem, was ich gehört habe, war Natasha ziemlich wild und ungestüm. Hatte ständig Ärger.«
»Sie war temperamentvoll.«
»Sie tun es schon wieder – Ausreden suchen. Entschuldigungen. Die Kanten glätten, die Wahrheit weichzeichnen.«
Sie wirft mir einen harten Blick zu und setzt neu an. »Natasha konnte schwierig sein. Schwer zu kontrollieren.«
»Inwiefern?«
»Sie respektierte keine Autorität. Ich glaube nicht, dass St. Catherine’s der richtige Ort für sie war.«
Ich warte auf mehr. Sie seufzt. »Ich sollte mich eigentlich bedeckt halten – ich war als Schülerin ein absoluter Albtraum. Nicht so schlimm wie Natasha wohlgemerkt, aber meine Eltern wurden ständig in die Schule zitiert.
Manche Mädchen ersticken an einem Ort wie diesem – die Disziplin und Routine. Wir sprechen hier viel von Hilfe und Unter-die Arme-Greifen, aber mal ehrlich: Was wir wollen, sind Schülerinnen, die uns gut dastehen lassen, die keine Probleme bereiten, in Prüfungen gute Ergebnisse erzielen …«
»Da hat Natasha nicht reingepasst.«
»Sie war eine brillante Schülerin. Sehr begabt. Der Typ, der Preise und Stipendien gewinnt, ohne sich wirklich ernsthaft anzustrengen.« Die Lehrerin senkt die Stimme. »Aber sie war auch rastlos, zerstreut, häufig ausfällig. Wenn sie die Lehrer nicht terrorisiert hat, hat sie mit ihnen geflirtet – mit Männern wie Frauen.«
»Hat sie auch mit Ihnen geflirtet.«
Kirsty lächelt wissend. »Natasha hat es genossen zu provozieren, doch es gibt einen Unterschied zwischen körperlicher und emotionaler Reife. Sie hat viele falsche Entscheidungen getroffen.«
»Und was ist mit Piper?«
»Sie war ganz anders. Eine geborene Geschichtenerzählerin. Im kreativen Schreiben war sie eine der besten Schülerinnen, die ich je hatte. Sie hat in den Tag geträumt. Ich habe sie oft ertappt, wie sie ins Leere gestarrt oder den Boden betrachtet hat, als wäre er ein unüberwindbarer Fluss. Und sie hatte so eine Art, die Dinge zu berühren, leicht mit den Fingerspitzen anzutippen, als würde sie ein geheimes Spiel spielen.«
»Und schulisch?«
»Sie hat sich schwergetan.«
»Ist sie der Typ Mädchen, das weglaufen würde?«
Kirsty antwortet nicht sofort. Sie guckt aus dem Fenster und beobachtet die Mädchen auf dem Schulhof.
»Natasha war eines jener raren Geschöpfe, denen es wirklich egal ist, was die Leute denken. Ob man ihr Komplimente machte oder sie kritisierte, ihre Reaktion blieb unverändert. Piper war gehemmter. Ich glaube, die Freundschaft hatte auch viel von Heldenverehrung.«
»Wie hat Natasha darauf reagiert?«
»Sie liebte es, bewundert zu werden. Piper war so etwas wie ihre ergebene Anhängerin.«
»Und warum hatten die beiden nicht viele Freundinnen?«
»Es gab Probleme.«
»Zum Beispiel?«
Die Lehrerin stockt kurz. »Ich glaube, nach dem Unfall ist vieles anders geworden.«
»Was für ein Unfall?«
»Zwei einheimische Jungen
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