Sag, es tut dir leid: Psychothriller (German Edition)
hatten einen Streit. Der eine hat den anderen mit einem Auto angefahren und so schwer verletzt, dass er lebenslang behindert ist. Der Fahrer wurde verhaftet und wegen versuchten Mordes angeklagt.«
»Und was hat das mit Natasha zu tun?«
»Es war ihr Freund. Bei dem Streit ging es um sie.«
»Wann war das?«
»Etwa vier Monate bevor die Mädchen verschwunden sind. Sie sollten darüber eigentlich mit Emily Martinez reden.«
»Ist sie heute da?«
Ruiz hat ein Notizbuch aus der Tasche gezogen und hält Details fest. Nicht dass er die Erinnerungsstütze brauchen würde, aber alte Gewohnheiten wird man schwer los.
Kirsty wendet sich Grievous zu. »Gibt es Neuigkeiten?«
Er antwortet nicht, doch das Wissen kommt trotzdem bei ihr an. Angst belegt ihre Stimme.
»Sind sie tot?«
»Das kann ich nicht kommentieren«, sagt er.
Sie sieht mich an. »Oje, Sie haben mich dazu verleitet, etwas Schreckliches zu tun.«
»Sie haben die Wahrheit gesagt.«
Es klingelt. Die Flure füllen sich; tobende Mädchen, Lachen, melodische Stimmen, die sich am Satzende immer heben. Die Englischlehrerin muss gehen. Sie steht auf und streicht ihre Hose glatt. Sie berührt einen Augenwinkel, dann ihr Haar.
»Wir haben alle Gründe wegzulaufen«, sagt sie, bevor sie sich abwendet. »Die meisten von uns finden aber die Kraft zu bleiben.«
20
Ruiz lässt den Wagen an. Wir sitzen schweigend nebeneinander und starren auf die leere Straße. Ein Schild von Network Rail markiert den Eingang zum Bahnhof Radley, daneben steht eine Informationstafel mit dem Poster eines reisenden Zirkus.
Hinter einer Bushaltestelle ist das Bowyer Arms zu sehen, ein weiß gestrichenes Pub, das zu einer Brauereikette gehört. Ruiz kramt in seiner Tasche, zieht eine Dose Bonbons heraus, nimmt eins, steckt es sich in den Mund und lutscht geräuschvoll.
»Erklär mir, warum wir hier sind?«
»Hier war der Treffpunkt«, sage ich. »Laut Emilys Aussage wollten sie sich am Sonntagmorgen um zehn Uhr hier treffen, aber die beiden anderen sind nicht gekommen.«
Ich nehme eine Kopie der Vermisstenanzeige. Alice McBain erklärte der Polizei, dass sie die beiden Mädchen zuletzt am Sonntagmorgen, dem 31. August, um kurz vor acht gesehen hat. Piper hatte nach dem Bingham Summer Festival bei Natasha übernachtet. Alice klopfte an Natashas Tür und sagte, sie müssten aufstehen. Natasha hatte ab zehn eine Schicht als Kellnerin in einem Café in Abingdon, erschien jedoch nicht zur Arbeit.
»Warum wollten sie abhauen?«
»In der letzten Woche vor den Sommerferien wurde Natasha wegen eines Streichs, den sie zwei Lehrern gespielt hatte, von der Schule verwiesen. Details wurden nie bekannt und der Schulverweis zurückgenommen, als die Mädchen verschwanden.
Laut Emily wollten sie nach London abhauen. Sie haben ihre Taschen gepackt und Geld gespart, doch die Begeisterung für die Idee schien im Laufe des Sommers immer mehr abzuflauen. Am letzten Abend des Bingham Festivals tauchte der Plan dann wieder auf. Die Mädchen waren auf der Kirmes. Piper hatte eigentlich Hausarrest, kletterte jedoch aus dem Fenster, nachdem ihre Eltern schlafen gegangen waren.
Dutzende von Menschen haben die Mädchen im Laufe des Abends gesehen. Die Karussells haben um elf Uhr zugemacht. Emily war eine Stunde zuvor nach Hause gegangen. Sie hatte einen Anruf erhalten, dass ihre Mutter einen Zusammenbruch hatte und im Krankenhaus war.«
»Was denn für ein Zusammenbruch?«
»Das wird aus den Unterlagen nicht klar. Piper und Natasha wurden um kurz vor zehn am Eingang des Stadtparks gesehen.«
»Wer hat sie gesehen?«
»Eine Polizeistreife.«
Das Bonbon klappert an Ruiz’ Zähnen. Ich berichte weiter.
»Kurz nach Mitternacht hat Piper an Emilys Fenster geklopft. Sie war sehr aufgewühlt, wollte jedoch nicht erklären, warum. Sie sagte nur, dass sie sofort abhauen würden. Wenn Emily mitkommen wolle, solle sie am nächsten Morgen um zehn Uhr zum Bahnhof kommen.«
»Hat Emily auch Natasha gesehen?«
»Nein. Emily war um zehn vor zehn am verabredeten Treffpunkt vor dem Bahnhof Radley, doch die beiden anderen kamen nicht. Sie wartete fast zwei Stunden und ging dann wieder nach Hause.«
»Sie hat keinen Alarm geschlagen?«
»Nein. Eine Suche wurde erst am späten Sonntagnachmittag eingeleitet. Die Polizei befragte Fahrgäste der Züge und der Buslinie City35, doch niemand erinnerte sich, die Mädchen gesehen zu haben.«
»Was ist mit ihren Handys?«
»Natashas Telefon wurde am Samstagabend um kurz
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