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Sag mir, wo die Mädchen sind

Sag mir, wo die Mädchen sind

Titel: Sag mir, wo die Mädchen sind Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Leena Lehtolainen
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Lustlosigkeit nicht überbewerten. Vermutlich ist sie nur auf mangelnde Ressourcen zurückzuführen, und da schafft unsere Einheit ja Abhilfe. Aber nun mach dich an die Internetrecherche, ich versuche, die erste Befragung zu organisieren. Husch!» Ich scheuchte Puupponen aus dem Zimmer wie eine Wespe, und das wirkte. Er ging lachend hinaus und hinterließ klebrigen Zuckergeruch.
    Zunächst nahm ich mir einen Moment Zeit, meine Gedanken zu ordnen. Im Gegensatz zu Koivu und Puupponen hatte ich den Verdacht, dass hinter Ruuskanens Entscheidung, die Vermisstenfälle nicht zu untersuchen, umgekehrter Rassismus stand. Vielleicht kannte er durch seinen Sohn die Gedankengänge der Migrationskritiker und ahnte, welchen Wirbel diese Leute um das Verschwinden der Mädchen machen würden. Dennoch war seine Entscheidung falsch gewesen. Wahrscheinlich waren die Mädchen einfach nur außer Landes gebracht worden; jedenfalls war der Verdacht, es könne sich um Ehrenmorde handeln, unbegründet, solange keine Leichen gefunden wurden.
    Durch das Fenster drang das vertraute Brummen des Verkehrs auf der Autobahn nach Turku. Mein neues Zimmer lag nach Süden und würde sich im Sommer aufheizen wie ein Backofen. Ich suchte die Telefonnummern des Mädchenclubs heraus und rief Nelli Vesterinen am Handy an, erreichte aber nur die Mailbox. Ich hinterließ eine Bitte um Rückruf. Dann erledigte ich den Rest der Routineaufgaben, die in den ersten Tagen an einem neuen Arbeitsplatz anfallen: Ich teilte meine dienstliche Mail-Adresse denjenigen mit, die sie eventuell brauchen würden, und speicherte die Telefonnummern meiner Familienangehörigen und anderer regelmäßiger Kontakte auf meinem Dienstanschluss. Das nahm überraschend viel Zeit in Anspruch. Ich wollte mich gerade auf den Weg zur Kantine machen und nachsehen, wie sich das Lunchangebot in den letzten Jahren entwickelt hatte, als unter meiner neuen Adresse eine Mail eintraf. Der Betreff lautete «Gruß aus Kabul», der Absender war Lauri Vala.
    «Hallo, Kallio, wie es aussieht, hast du einen neuen Job, diesmal in der Polizeiorganisation und nicht an der Fachhochschule. Gut so, Berufspolizisten haben wohl eine größere Immunität als Ausbilder.
    Ich komme nächste Woche nach Finnland, wir sollten uns treffen. Per Mail will ich nicht ins Detail gehen. Ich melde mich, wenn ich im Land bin. Lauri Vala.»
    Major Vala war der ranghöchste finnische Militärbeamte in der Gruppe gewesen, die für die Sicherheit der zivilen Teilnehmer an der Eröffnung der Polizeischule verantwortlich war. Wie die anderen finnischen Soldaten war er in Mazar-i-Sharif stationiert, aber er hatte uns für die gesamte Dauer der Reise zur Verfügung gestanden. Anfangs war er kühl und sachlich gewesen, doch am Abend nach der Bombenkatastrophe hatte er plötzlich einen Annäherungsversuch gemacht. Nachdem die Hilfstruppen eingetroffen waren und das Gebiet abgesucht hatten, ohne jedoch weitere Bomben oder Minen zu finden, hatten wir die Fahrt nach Kabul fortgesetzt. Der zersplitterte und verkohlte Jeep der Deutschen war zurückgeblieben, später sollte ein Krankenwagen die Leichen abtransportieren. Auf dem Rest der Fahrt sprachen wir nur das Allernötigste. Als wir die Stadt erreichten, blieben wir immer wieder im Stau stecken, obwohl es bereits spät war. Numminen brachte uns ans Ziel. Vala wohnte in Kabul im selben streng bewachten Hotel wie ich, und als wir dort ankamen, holte er seinen und meinen Schlüssel von der Rezeption und begleitete mich zu meinem Zimmer.
    «Du solltest jetzt nicht allein sein. Ich komme gleich zurück, hole nur etwas, was wir beide brauchen. Ich klopfe in drei Zweierserien: tata, tata, tata. Mach keinem anderen auf.»
    Valo hatte das Kommandieren gelernt, und ich war als Polizistin an eindeutige Befehlsstrukturen gewöhnt. Einen eigenen Willen hatte ich in diesem Moment ohnehin nicht. Völlig konfus vor Trauer und auch vor Dankbarkeit, dass ich überlebt hatte, setzte ich mich aufs Bett. Meine Haare rochen nach verbranntem Fleisch, ein Geruch, der sich vielleicht nicht auswaschen ließ. Ich zog nur die Schuhe aus und legte mich hin. Draußen rief jemand mit gellender Stimme zum Gebet, dann ging der Ruf im chaotischen Verkehrslärm unter. An der Zimmerdecke waren dunkle Flecken, wie Tränen.
    Ich hätte nicht sagen können, wie viel Zeit vergangen war, als Vala klopfte. Er hatte eine frische Uniform angezogen und offenbar auch geduscht, denn seine stahlgrauen kurzen Haare waren noch feucht. Im

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