Sag mir, wo die Mädchen sind
Grenze nach Schweden gereist sind, damit wären sie im Schengengebiet und nicht mehr aufspürbar. Möglicherweise haben sie aber auch falsche Papiere benutzt.»
«Und da meint Ruuskanen, es gebe keinen Grund, Ermittlungen anzustellen? Drei junge Muslimas aus Espoo verschwinden spurlos. Jeder halbwegs aufgeweckte Reporter würde einen Zusammenhang wittern. Wie kommt es, dass die Presse nicht darüber berichtet hat?»
«Die Familien wollten nicht in die Öffentlichkeit, und Ayans Freundinnen fürchten, dass Presseberichte Ayan schaden könnten. Allerdings ist sie volljährig, es kann durchaus sein, dass sie aus freien Stücken gegangen ist. Möglicherweise gilt das auch für Aziza und Sara, es kommt schließlich vor, dass Jugendliche ausreißen.»
«Gibt es Gerüchte im Internet?», fragte ich. Koivu schien den Fall der verschwundenen Mädchen sehr ernst zu nehmen. Daher vermutete ich, dass er trotz Ruuskanens Desinteresse auf eigene Faust Ermittlungen angestellt hatte.
«Über Ayan wurde im Helmi-Portal diskutiert, aber der Systemadministrator hat die Beiträge entfernt, weil sie die Privatsphäre verletzten. Offenbar hat eine von Ayans Freundinnen aus dem Mädchenclub die Diskussion eröffnet. Es wurde gemunkelt, Ayan sei von ihrer Familie außer Landes geschickt worden, weil sie einen finnischen Freund hatte. Die Familie gibt jedoch an, nichts von einem Freund zu wissen; Ayan habe nur mit Mädchen Umgang. Als einer der Chatter behauptete, Ayan sei von ihrem älteren Bruder umgebracht worden, wurden die Beiträge entfernt. Ohne Untersuchungsbefehl konnte ich sie nicht anfordern.»
Das mehr als zehnjährige Zusammenleben mit Anu Wang-Koivu, die als vietnamchinesischer Flüchtling nach Finnland gekommen war, hatte Pekka vor Augen geführt, was es bedeutete, als Angehöriger einer ethnischen Minderheit in unserem Land zu leben. Anu war vollkommen integriert und sprach fließend und akzentfrei Finnisch, aber sie wurde nach wie vor auf Englisch angesprochen oder wie eine Schwachsinnige behandelt. Da Polizisten mit Migrationshintergrund immer noch spärlich gesät waren, wurde Anu häufig hinzugezogen, wenn es um Migranten ging, gleich welcher Herkunft oder Religion sie waren, obwohl sie selbst einen ganz anderen Hintergrund hatte als beispielsweise somalische Asylbewerber oder polnische Putzfrauen. Bei all dem war Koivu gegen Rassenfestlegungen äußerst allergisch geworden.
Puupponen trällerte eine bekannte Melodie, einen Folksong aus den sechziger Jahren. Sag mir, wo die Mädchen sind, so lauteten die Worte in seiner Version. Als Koivu ihm den Kuchenteller hinschob, grinste er und hörte auf zu singen.
«He, Leute, ist es in den muslimischen Ländern nicht ganz normal, dass Mädchen schon mit vierzehn verheiratet werden? Vielleicht hat man Sara und die anderen gezwungen, einen Vetter zu ehelichen, und sie deshalb irgendwohin gebracht, wo unsere Gesetze nicht gelten.» Puupponen drehte den Berliner in der Hand, ohne hineinzubeißen. Der rosa Zuckerguss verschmierte ihm die Finger.
«Eine Achtzehnjährige hätte man auch hier verheiraten können», wandte Koivu ein.
«Auch gegen ihren Willen? Vielleicht hat man sie zurück in den Sudan verfrachtet. Inzwischen hat sie einen neuen Namen, und ihre finnische Personenkennziffer ist nur noch eine blasse Erinnerung. Ein Paranoiker könnte auf die Idee kommen, wir hätten es mit einem Serienmörder zu tun, der es auf junge Migrantinnen abgesehen hat. Ein ostfinnischer Realist wie ich glaubt nicht so leicht an derartige Theorien. Ich kann gut verstehen, dass Ruuskanen keinen Wind um die Sache machen wollte. Das wäre doch ein gefundenes Fressen für alle möglichen Nazis.»
«Aber Finnland ist ein Rechtsstaat, und in einem Rechtsstaat wird nach vermissten Personen gesucht. Vor allem, wenn sie minderjährig sind. Verdammt noch mal, nun schmier dir den Zuckerguss nicht auch noch an den Pullover!», fuhr Koivu Puupponen an, der Anstalten machte, sich die Finger an seinem unglaublich hässlichen, selbstgestrickten Pullover mit Tiermuster abzuwischen. Die Tiere sollten wohl Bären darstellen, waren aber so verzerrt, dass sie eher an langgezogene Marder erinnerten. Vielleicht hatte Puupponens Mutter oder seine Schwägerin beim Stricken ihren schrägen Humor spielen lassen.
Meine beiden Mitarbeiter starrten mich an, als sei ich die Schiedsrichterin. Es lag in meiner Macht zu entscheiden, ob Ermittlungen eingeleitet werden sollten oder nicht. Ich kannte Koivu gut genug, um
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