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Sag mir, wo die Mädchen sind

Sag mir, wo die Mädchen sind

Titel: Sag mir, wo die Mädchen sind Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Leena Lehtolainen
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Sache an den Staatsanwalt geht. Du hast absolut keinen Grund, um deinen Posten zu fürchten», beschwichtigte Taskinen. «Maria, du solltest dich mit der Sicherheitspolizei in Verbindung setzen. Dieser hausbackene Geheimbund fällt eher in deren Ressort. Und wenn der Staatsschutz den Bürschchen ein bisschen Angst einjagt, geben sie vielleicht Ruhe.»
    Ruuskanen stand auf und ging, wobei er die Tür übertrieben leise schloss. Taskinen zuckte die Achseln. An der Wand hing ein eingerahmter Zeitungsbericht, der mir früher nicht aufgefallen war. Ich stand auf und las ihn. Der Artikel war kurz vor Weihnachten in der Zeitung
Kotimaa
erschienen und beruhte auf einem Interview mit Lauri Johansson, dem Anführer der Organisation Natural Born Killers, der wegen mehrfachen Mordes eine lange Haftstrafe verbüßte. Er hatte im Gefängnis zum Glauben gefunden und wollte seine Taten wiedergutmachen.
    «Bei manchen kommt es so», sagte Taskinen ruhig. «Es ist gut, sich das vor Augen zu führen, wenn einen die Plackerei so richtig frustriert.»
    Trotz des Zeitungsausschnitts fühlte ich mich durch und durch unzufrieden, als ich am Abend nach Hause ging. Ich hatte Sylvia Sandelin vorläufig noch nicht von Heinis Plan berichtet, denn über der weiteren Suche nach Ayan war der ganze Tag vergangen. Koivu hatte sich mit den muslimischen Gemeinden in den Nachbarländern in Verbindung gesetzt, während ich mutmaßliche Menschenhändler überprüfte. Wenn ihr das Geld ausging, blieb Ayan nichts übrig, als sich zu verkaufen. An Abnehmern würde es ihr sicher nicht mangeln.
    Als ich nach Haus kam, hielt meine Mutter, die gekommen war, um meinen Vater abzuholen, gerade eine Predigt über seine Dummheit. Warum musste er auf seine alten Tage noch so schwer heben! Es kam mir vor, als wäre ich in meine Kindheit zurückversetzt worden. Meine Eltern hatten oft gesagt, das ständige Gemecker sei nur harmlose Frotzelei, aber da ich das als Kind nicht gewusst hatte, empfand ich es immer noch als quälend. Iida und Taneli leisteten ihren Großeltern Gesellschaft, während ich Wäsche wusch und an einigen Handtüchern die abgerissenen Aufhänger annähte. Am liebsten hätte ich auch mein Gemüt in die Waschmaschine gesteckt.
     
    Am Donnerstag brachte ich meine Eltern zum Flughafen. Da zu den beiden größeren Städten in der Nähe von Arpikylä kein Nachtzug mehr fuhr, mussten sie fliegen. Immerhin hatte man ihnen Invalidenstatus zugebilligt. Der Rücken plagte meinen Vater immer noch, am erträglichsten waren die Schmerzen beim Gehen und Liegen. Um den Flug zu überstehen, hatte er das starke Schmerzmittel genommen, das ihm der Arzt verschrieben hatte, und war nun kaum fähig zu sprechen. Helenas Mann Petri erwartete meine Eltern in Joensuu mit seinem Kleintransporter, in den er eine Liege eingebaut hatte. Als ein Flughafenangestellter meinen Vater im Rollstuhl schob und meine Mutter ihm mit trauriger Miene folgte, wurde mir schwer ums Herz. Von uns drei Schwestern wohnte nur Helena noch in der Nähe von Arpikylä, in Joensuu, während Eeva mit ihrer Familie nach Tampere gezogen war, weil ihr Mann dort Arbeit gefunden hatte. Es war, als hätte der Rollstuhl mir die Hilflosigkeit vor Augen geführt, die meine Eltern in den nächsten zehn Jahren wahrscheinlich erwartete.
    Da sich bereits einige Überstunden angesammelt hatten, eilte ich nicht sofort zur Arbeit, sondern trank eine Tasse Tee und bestaunte das Menschengewimmel im Flughafen. Eine Schar Japaner, alle in gleichartigen dunkelblauen Blazern mit rot-weiß gestreiften Tüchern, lauschte den Instruktionen des Reiseführers. Ihr Geld war in Finnland willkommen. Ein Spaniel überschlug sich vor Freude, als sein Frauchen die Ankunftshalle betrat, und bellte so laut, dass viele den Kopf schüttelten. Ich betrachtete die Abflugtafel und überlegte, wohin ich am liebsten fliegen würde. Am verlockendsten erschien mir Rom, dort hatte der Frühling bereits Einzug gehalten. Die nächsten Passagiere, die in die Ankunftshalle strömten, kehrten offenbar von einem Strandurlaub im Süden zurück, denn ihre Gesichtsfarbe lag zwischen ferkelrosa und tiefbraun, und viele waren für das finnische Märzwetter mit bis zu zwanzig Grad minus in der Nacht eindeutig zu leicht gekleidet. Einigen sah man an, dass sie nur widerwillig in den Alltag zurückkehrten, andere hatten ganz offensichtlich Sehnsucht nach ihren Kindern oder ihrem Partner gehabt.
    Der jungen Frau im Kopftuch, die als einziges Gepäckstück eine

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