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Sag mir, wo die Mädchen sind

Sag mir, wo die Mädchen sind

Titel: Sag mir, wo die Mädchen sind Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Leena Lehtolainen
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schraubte eine Thermosflasche auf und füllte zwei Tassen. Der Tee schmeckte leicht bitter, aber immer noch besser als der Beuteltee in der Polizeikantine.
    «Was kannst du mir über Ayan Ali Jussuf erzählen? Seit wann hat sie den Mädchenclub besucht?»
    «Von Anfang an. Gleich nach der Eröffnung tauchte eine ziemlich große Schar von Mädchen aus Somalia und dem Sudan hier auf, die nach einer Freizeitbeschäftigung suchten, und Ayan war eine von ihnen. Sie wollte Ayan Ali genannt werden, ohne Jussuf. Jussuf hieß der Vater ihres Vaters. Sie wollte seinen Namen nicht tragen, aber offiziell ist sie unter diesem Namen gemeldet. Sie hätte ihn gern geändert.»
    «Warum?»
    «Wie gesagt, bei den Muslimen ist der Familienname der Name des Großvaters väterlicherseits, in der Mitte steht der Name des Vaters. Ayan hätte wohl einen Namen bevorzugt, der sie nicht über ihre Verwandten definiert. Sie hat das finnische System bewundert, wo das Kind auch den Nachnamen der Mutter bekommen kann und die Frau bei der Heirat ihren Mädchennamen behalten darf, wenn sie will.»
    «Sie hat also gegen die muslimische Kultur rebelliert?»
    «Eher in Gedanken als in der Praxis, nehme ich an. Meines Wissens hatte sie keinen Freund, aber darüber weiß Miina vielleicht mehr. Wir fragen die Mädchen nicht nach ihrem Privatleben aus, helfen ihnen aber, wenn es nötig ist. Ayan hat mich gefragt, ob eine Namensänderung möglich sei, und das ist sie nach dem finnischen Gesetz natürlich, denn Ayan ist volljährig.»
    «Wollte sie auch ihre Religion aufgeben?»
    «Davon hat sie mir nichts gesagt.»
    Es klopfte, und Nelli rief «Herein!». Ein kleines, sehr schlankes Mädchen trat ein. Ihre zentimeterkurzen Haare waren so hellblond, dass sie fast weiß aussahen. Sie trug einen weißen Overall, der an die Schutzkleidung der Kriminaltechniker erinnerte. Den Kragen und die Ärmel zierten kleine hellrote Stickmuster.
    «Das ist Miina Saraneva. Miina, Kommissarin Kallio von der Espooer Polizei möchte mit dir über Ayan sprechen.»
    Das blasse Gesicht des Mädchens nahm Farbe an, ihre Augen funkelten.
    «Die Polizei! Endlich! Ayan ist schon seit mehr als zwei Wochen verschwunden. Wir wollten uns am Valentinstag treffen, da gab es hier im Club eine Veranstaltung, aber Ayan ist nicht gekommen und hat nicht mal eine SMS geschickt. Zu ihrem Handy kriegt man keine Verbindung. Ich bin am nächsten Dienstag zu ihr nach Hause gegangen, aber ihre Eltern haben nur gesagt, sie wüssten nicht, wo Ayan ist. Sie haben mich nicht in die Wohnung gelassen, ich weiß also nicht, ob sie gelogen haben. Jedenfalls habe ich Nelli dann sofort gebeten, Vermisstenanzeige zu erstatten.»
    «Die Polizei hat Ayans Angehörige bereits befragt, mit demselben Ergebnis: Sie wissen von nichts. Hatte Ayan einen Freund?»
    «Nein», antwortete Miina ohne Zögern. «Sie wollte sich von keinem Mann herumkommandieren lassen.»
    Wieder klopfte es. Das indisch aussehende Mädchen, das vorhin in der Küche hantiert hatte, fragte nach Nelli, die hinausging und die Tür hinter sich schloss. Miina sah nicht mich an, sondern das Landschaftsbild, während sie fortfuhr:
    «Ayan hat kaum über diese Dinge gesprochen, sie war schüchtern … Aus einer ganz anderen Welt als ich. Aber einmal hat sie gesagt, sie will keinen Mann und keine Kinder, weil das so schmerzhaft ist. Offenbar ist sie in irgendeinem Flüchtlingslager in Somalia beschnitten worden, als sie gerade neun war. Sie hat immer nur von ‹dieser Operation› gesprochen. Einmal war sie dabei, als ich Tampons gekauft habe. Sie war furchtbar verlegen und hat sich kaum getraut zu fragen, warum ich die verwende. Sie wollte wissen, ob das nicht schrecklich weh täte. Als ich ihr erklärt habe, wie die Dinger funktionieren, war sie vollkommen entgeistert. Ich konnte ihr ansehen, dass sie noch mehr wissen wollte, sich aber genierte, und ich mochte nicht aufdringlich sein. Ihre Mutter hatte wahrscheinlich nicht mal über die Menstruation mit ihr gesprochen, Ayan hat alles, was sie darüber wusste, von der Gesundheitsfürsorgerin an der Schule und aus Illustrierten erfahren.»
    «Hatte Ayan Streit mit ihrer Familie?»
    «Nein. Ihr gefiel nicht alles, was in der Familie geschah, aber das hat sie ihren Eltern nicht gesagt.»
    «Im Internet wurde behauptet, Ayans Bruder hätte seine Schwester getötet. Wer könnte dieses Gerücht in die Welt gesetzt haben?»
    Miinas Gesicht wurde schneeweiß, und ihre Stimme zitterte so, dass ihre nächsten

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