Sag mir, wo die Mädchen sind
Wochenende waren gekochte Kartoffeln übrig geblieben, die konnte ich in Würfel schneiden und mit dem Fisch braten. Mein erster Arbeitstag war zugleich mein Geburtstag gewesen, und Antti hatte mich mit Trompetenpfifferling-Hackbraten verwöhnt, Taneli den Salat dazu gemacht und Iida Mokkakuchen gebacken. Den Kollegen hatte ich eine Biskuitrolle mit Himbeerfüllung mitgebracht, die ich mit meinem begrenzten Backtalent gerade noch zustande brachte. Koivu hatte brav drei Stück davon gegessen.
Während ich das Essen zubereitete, dachte ich an die drei Familien, an deren Esstisch jetzt ein Platz leer blieb. Vielleicht wussten die Angehörigen, wo das Mädchen war, das dort gesessen hatte, vielleicht aber wussten es nur einige von ihnen, und die anderen gaben sich mit der Lüge zufrieden, die man ihnen aufgetischt hatte. Ich bildete mir nicht ein, Menschen auf den ersten Blick zu durchschauen und zu erkennen, wer log. Aber um im Fall der verschwundenen Mädchen Klarheit zu gewinnen, musste ich ihre Familien besuchen. Ich nannte sie einfach Ayans, Saras und Azizas Familien, denn nur eine davon, die Amirs, hatten einen gemeinsamen Nachnamen.
Bei uns war es nicht anders. Nach Iidas Geburt hatte ich Anttis Vorschlag zugestimmt, sie solle seinen Nachnamen bekommen. Er hatte argumentiert, eine Frau wisse schließlich immer, dass sie die Mutter ihres Kindes sei, während der Mann sich seiner Vaterschaft nie ganz sicher sein könne. Diese Auffassung war mir bei allem Strindberg’schen Zynismus damals logisch erschienen, und später hatte es sich sogar als nützlich erwiesen, dass die Kinder einen anderen Nachnamen trugen als ich.
Da sich unser Abendessen nach mitteleuropäischer Art bis neun Uhr hinzog, musste Taneli gleich danach schlafen gehen. Eine Gutenachtgeschichte musste ich ihm nicht vorlesen, denn nach Weihnachten hatte er erklärt, er wolle das nicht mehr, das sei albern, denn er könne ja längst selbst lesen. Dafür bat Iida mich, sie die schwedischen Vokabeln abzuhören, weil sie am nächsten Tag einen Test schrieb.
«Ich hab gerade eine SMS von Anni gekriegt», sagte sie. «Du warst im Mädchenclub, hast sie aber nicht gesehen. Was hast du denn da gemacht?»
«Das war dienstlich.»
Mit meinen Kindern sprach ich nie über berufliche Dinge, und auch bei Antti hielt ich mich so weit wie möglich an die Schweigepflicht, verplapperte mich nur manchmal, wenn ich einen Sparringspartner brauchte. Aber da ich die Besucherinnen des Mädchenclubs offen gebeten hatte, sich mit mir in Verbindung zu setzen, würde Iida ohnehin von der Sache erfahren. Ich erklärte ihr kurz, worum es ging. Konnte sie mir womöglich weiterhelfen?
An zwei der Mädchen erinnerte sie sich nicht, nur an Ayan, und auch sie war ihr hauptsächlich deshalb in Erinnerung geblieben, weil sie «die beste Freundin von der komischen Frau ist, die sich immer weiß anzieht». Iida hielt sich hauptsächlich an Mädchen ihres Alters, auch wenn sie einige der Älteren anhimmelte. Als sie wissen wollte, was Ayan meiner Meinung nach zugestoßen war, blockte ich ab.
«Das wird sich schon klären, mach dir keine Gedanken. Nichts deutet darauf hin, dass man ihr etwas Böses angetan hätte.»
Ich hoffte, dass Iida mir glaubte. Mir selbst fiel allerdings kein einziger guter Grund für Ayans Verschwinden ein.
An diesem Tag im März war der Himmel bewölkt, die Temperatur lag bei null Grad. Die riesigen Schneehaufen vor den Häusern in Suvela waren schmutzig. Ayans Familie wohnte in einer städtischen Mietskaserne, deren Adresse der Polizei leider nur zu bekannt war. Die Amirs wohnten im Nachbarhaus, doch sie hatten wir bisher noch nicht erreicht. Ayans Vater Ali Jussuf Hassan hatte an diesem Tag Spätschicht. Er war von Beruf Busfahrer. Auch die Mutter würde zu Hause sein, meinte Koivu, denn sie war arbeitslos.
«Ich habe meine Nachbarn, die Keiras, gefragt, ob sie Ayans Familie kennen, sie kommen ja auch aus dem Sudan. Sie wussten, von wem ich spreche, sind der Familie aber nur gelegentlich in der Moschee begegnet. Die Keiras gehen dort immer seltener hin», hatte Koivu auf der Fahrt erzählt.
In dem Haus, in dem Ayans Familie wohnte, gab es einen Aufzug, aber an der Tür hing ein Zettel mit der Aufschrift «Außer Betrieb. Monteur bestellt», in Finnisch und in zwei weiteren Sprachen, deren Schrift ich nicht lesen konnte. Eventuell handelte es sich um Somalisch und Persisch. Wir nahmen die Treppe in den zweiten Stock. Von den Namen an den Wohnungstüren
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