Sag mir, wo die Mädchen sind
übermittelt. Er fahndete gerade nach den Absendern. Bereits bei der Gründung unserer Zelle hatten wir die Befugnis erhalten, die Personalien von Nicknamen anzufordern, sofern es um ein Delikt ging, das mit einer Haftstrafe von mindestens zwei Jahren geahndet wurde.
Ayans Mutter trocknete sich schweigend die Hände an einem Handtuch ab, das so glatt und strahlend weiß war wie das Hemd ihres Mannes. Im Spülbecken lagen Teetassen und eine Salatschüssel. Eine Spülmaschine gehörte nicht zur Ausstattung dieser Wohnung.
«Sprechen Sie Finnisch?», fragte ich. Dann schloss ich die Tür. Die Frau zuckte zusammen.
«Nicht gut. Ayan – gefunden?» Die Hoffnung, die in den Augen der Frau lag, sagte mehr als jede Antwort: Aisha Muhammed Ali hatte offensichtlich keinen Grund zu der Annahme, dass ihre Tochter tot war.
«Nein. Wir suchen nach ihr. Wissen Sie, wo sie ist?»
Die Frau schüttelte den Kopf. «Zum Club gehen, nicht zurückkommen. Nicht weiß, was passiert. Mann und Söhne suchen ganze Zeit, fragen alle.» Obwohl sie langsam sprach und bei jedem Wort zu überlegen schien, klang sie nervös.
«Hatte Ayan einen Freund?»
«Nein! Ist gutes Mädchen. Geht zu Arbeit, kommt heim, gibt alles Geld dem Vater. Manchmal im Club, aber nicht zu oft. Jemand hat sie mitgenommen, sagt, schönes Mädchen, ich mache Foto, du bekommst Geld, Ayan geglaubt.» Dann zuckte die Frau mit den Schultern und breitete die Arme aus. «Ich hoffen, dass kommt zurück. Dass jemand findet. Vielleicht in Finnland Polizei gut.»
«Wie war das Verhältnis zwischen Ayan und ihren Brüdern?»
Aisha starrte auf den Boden, dann fragte sie: «Verhältnis – was ist das?»
«Haben sie sich gut verstanden? Hatten sie Streit? Was haben Ayans Brüder dazu gesagt, dass sie in den Mädchenclub ging?»
Die Frau überlegte lange, bevor sie antwortete, aber das mochte daran liegen, dass sie nach den Worten suchen musste. Mit einer Dolmetscherin wäre es leichter gewesen, doch so kurzfristig hatten wir keine bekommen.
«Kein Streit. Ayan brav. Die Brüder mag nicht, dass sie allein geht. Finnische Jungen keine Achtung vor Mädchen. Die Brüder Ayan oft abgeholt von Club. Schutz. Gute Söhne, viel arbeiten. Bringen Geld nach Hause.»
Ich wusste, dass man auf die Gerüchte im Internet nicht allzu viel geben durfte. Wahrscheinlich stammten sie von notorischen Ausländerfeinden, die in Wahrheit nichts über Ayans Schicksal wussten. Es war grausam, eine Mutter zu fragen, ob einer ihrer Söhne ihre Tochter umgebracht haben könnte, aber wenn wir herausfinden wollten, was mit dem Mädchen geschehen war, mussten wir auch schmerzhafte Fragen stellen.
«Es ist behauptet worden, Ihre Söhne hätten Ayan getötet. Was sagen Sie dazu?»
Aisha holte überrascht Luft, dann sagte sie, sie hätte meine Frage nicht verstanden. Doch ihre Augen verrieten mir, dass sie mich sehr wohl verstanden hatte. Sie schrumpfte gewissermaßen, als ob sie sich einigelte, um sich vor der Härte des Lebens zu schützen. Obwohl sie ganz offensichtlich nicht wusste, was mit ihrer Tochter passiert war, hielt sie die Theorie, die ich vorgebracht hatte, nicht für unmöglich. Mir lief ein kalter Schauer über den Rücken.
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4
N ach dieser Frage verschloss Aisha sich restlos und sagte nur noch, dass Ayan im Wohnzimmer geschlafen hatte. Die Wohnung bestand aus drei Zimmern und Küche, aber nur das eine der beiden Schlafzimmer war einigermaßen geräumig. Es diente als Elternschlafzimmer; eine Wand wurde von mehreren Kleiderschränken eingenommen. Das andere Schlafzimmer war eine winzige Kammer, die lediglich Platz für zwei Betten und für einen schmalen Tisch am Fenster bot, auf dem ein Computer stand. Eine sudanesische Flagge war die einzige Wanddekoration.
Die Männer saßen im Wohnzimmer. An ihrer Körpersprache erkannte ich, dass auch Ali Jussuf Hassan inzwischen mit den Internetgerüchten konfrontiert worden war. Er hatte die Fäuste geballt, starrte zu Boden und schüttelte wütend den Kopf.
«Wir brauchen einige Sachen von Ayan, ihre Zahnbürste zum Beispiel, oder ihre Haarbürste. Wo hat sie ihre Kleider aufbewahrt?», fragte ich Aisha. «Und hat sie hier auf dem Sofa geschlafen oder wo?»
Aisha zeigte auf den Teppich hinter dem Sofa, das so platziert war, dass in der Ecke eine an drei Seiten geschlossene Fläche entstand; an der offenen Seite bot eine Holztruhe Sichtschutz.
«Da. Matratze auf dem Teppich. Gibt keine größere Wohnung. Ayan war
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