Sag mir, wo die Mädchen sind
Zeit für seinen Besuch ausgesucht. In der Zeitung stand nicht mehr über den Terroranschlag, als die anderen Medien bereits berichtet hatten, daher machte ich mich nach dem mehrfach unterbrochenen Frühstück im Internet auf die Suche nach weiteren Informationen. Amerikanische Quellen berichteten, der Datenverkehr zur Polizeischule sei unterbrochen; es war also idiotisch von mir, voreilige Rückschlüsse auf das Schicksal meiner Schülerinnen zu ziehen, nur weil sie meine Mail nicht beantwortet hatten. Auf der Webseite von CNN entdeckte ich Videoclips, auf denen ich vergeblich nach Menschen suchte, die ich kannte. Was ich sah, war nur eine hin und her eilende, gesichtslose Masse. Zudem trugen die Frauen Kopftücher, und an die Art, wie sich diese oder jene meiner Schülerinnen bewegte, erinnerte ich mich nach all den Monaten nicht mehr. Ich besprach mit Antti und meinem Vater den Tagesablauf und versprach, mich zu melden, sobald ich wusste, wann ich nach Hause kommen würde. Mein Vater nähte dabei ächzend einen Kragenknopf an Iidas gefütterte Lederjacke.
Ich war zu faul, mich zu schminken, und verließ das Haus. Draußen zog ich die Mütze tief in die Stirn, denn trotz des Sonnenscheins ging ein kalter Wind, der meine Nasenspitze in einen Eiszapfen zu verwandeln drohte und mir Tränen in die Augen trieb. Unterwegs bekam ich eine SMS von Söderholm, dem Gitarristen und Sänger unserer Band «Die Bullen», der sich nach der nächsten Probe erkundigte; weil wir alle Polizisten waren, hatten wir keinen festen Termin. Mitunter konnte die Band monatelang nicht in voller Besetzung proben. Wir traten selten auf, aber in der Zeit der vorweihnachtlichen Betriebsfeiern waren wir gefragt, und wenn wir genug Mumm hatten, würden wir im Sommer bei den Polizeitagen in Espoo, Vantaa und Lohja spielen.
Söderholm, ein international anerkannter Ballistiker, war der Waffenexperte der Espooer Polizei und der untypischste Polizist, der mir je begegnet war. Auch auf Vortragsreisen trug er eine abgewetzte Rockerjacke und Boots, und bei der Sicherheitskontrolle auf den Flughäfen wurde er öfter ausgesiebt als jeder andere. Ich schlug ihm per SMS vor, uns irgendwann einmal zum Mittagessen zu treffen, wenn wir beide Zeit hatten. Die anderen Mitglieder unserer Band waren versetzt worden und arbeiteten jetzt bei der Helsinkier Polizei und bei der Zentralkripo.
Dass Ruuskanen frisch und munter wirkte, konnte man beim besten Willen nicht behaupten, und auch Ursula war anzusehen, dass sie nur ein paar Stunden geschlafen hatte, vermutlich in dem unbequemen Bett im Ruheraum des Präsidiums. Sie war kaum geschminkt, ihre Wimperntusche bröckelte. Schon zu Beginn der Besprechung merkte ich, dass sie Rahim mit absoluter Sicherheit für den Täter hielt. Man hatte im Wagen bereits seine Fingerabdrücke sichergestellt, und unter dem Fahrersitz war ein Armband mit rosa Glasblumen und dem Namen Noor in persischer Schrift gefunden worden.
«Das Mädchen hat in dem Wagen gesessen, und der Schmuck gehört ihr. Das hat ihre Mutter bestätigt. Der Besitzer des Wagens bestreitet, Rahim Ezfahanis Cousine jemals gesehen zu haben. Er ist übrigens kein Iraner, sondern Somalier.»
«Er kann lügen», wandte Puupponen ein. «Womöglich hat er selbst das Mädchen erdrosselt.»
«Bring mich nicht aus dem Konzept. Ich berichte nur, was bisher bekannt ist.»
«Schön der Reihe nach!», blaffte Ruuskanen. Er trug keine Krawatte und hatte das Hemd am Hals nicht ganz zugeknöpft, sodass graue, krause Brusthaare und eine breite Goldkette sichtbar wurden. Bisher hatte ich an ihm keinen Schmuck bemerkt, abgesehen von seinem Ehering, einem schlichten schmalen Reif.
«Die Dolmetscherin kommt um Viertel nach elf. Kallio hat den jungen Ezfahani gestern allein befragt. Guter Versuch, aber mit Frauen sprechen die nicht. So ist das nun mal.»
«Blödsinn!», protestierte Ursula, bevor ich etwas sagen konnte. «Dieser Omar Hassan hat jedenfalls lang und breit mit mir geredet, er spricht sehr gut Englisch. Er hat in London gewohnt und sich dort in ein finnisches Au-pair-Mädchen verliebt hat. Ihretwegen ist er dann nach Espoo gezogen. Anfangs war er ein wenig schüchtern, aber dann lockerte sich die Zunge. Vielleicht hängt die Redebereitschaft davon ab, welche Frau die Vernehmung führt.»
«Mitten in der Nacht würde ich auch reden, um so schnell wie möglich weiterschlafen zu dürfen», meinte Puupponen. «Ich habe im Internet nach Informationen über diesen Omar
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