Sag mir, wo die Mädchen sind
bestand darauf, dass zu einer ordentlichen Mahlzeit Fleisch gehörte. Während ich in der Küche beschäftigt war, kam eine SMS von Puupponen:
«Ich habe Sara Amirs Vater drei Stunden aufgelauert, dann konnte ich mit ihm sprechen. Er hat zugegeben, dass das Mädchen nach Bosnien geschickt wurde, weil sie dort besser geschützt sei. Auf meine Frage, wovor, sagte er, vor den Männern. Seiner Meinung nach geht es die finnischen Behörden nichts an, wo sich seine Tochter aufhält, aber sobald ich einen Dolmetscher auftreibe, kläre ich, wann und wie sie das Land verlassen hat.»
Um fünf vor acht stand ich in der Eingangshalle des Präsidiums und wartete auf Vala. Da der Parkplatz fast leer war, sah ich seinen Wagen schon von weitem. Er hielt unmittelbar vor der Tür. Es nieselte leicht, ich trug Gummistiefel und einen Regenmantel mit Kapuze. Ich hatte die Haare zum Dutt aufgesteckt, meinen hässlichsten und weitesten Pullover angezogen und sorgfältig alle Schminke entfernt.
Als Vala ausstieg, sah ich, dass er einen langen, schmalen Gegenstand in der Hand hielt. Es war eine in Zellophan gewickelte Rose, und als er näher kam, sah ich, dass sie blutrot war. Ich öffnete ihm die Tür. Er überreichte mir die Rose.
«Alles Gute zum Tag der Frau, Kommissarin Kallio. Sprechen wir endlich dieselbe Sprache?»
«Kommt darauf an, welche Sprache du meinst.» Ich nahm die Rose an, wickelte sie aber nicht aus. Der Tag der Frau war eine Erfindung der Sowjetunion und mir immer verhasst gewesen, einerseits als überflüssiges kommerzielles Fest, andererseits als typisch sowjetische Art der Unterdrückung durch Erhöhung: An einem Tag bekamen die Frauen Rosen, am nächsten mussten sie zu Hause und in der Kolchose doppelt so viel arbeiten.
Ich führte Vala in unseren Ermittlungsraum, legte die Rose neben die Kaffeemaschine und beschloss, sie dort zu vergessen. Ich betrachtete das Foto von Aziza an der Wand. Sie hatte erst mit vierzehn lesen gelernt.
«Kennst du sie?»
Vala hatte sich auf einen Stuhl gesetzt, von dem er die Stellwand mit den Fotos sehen konnte. Zuerst warf er nur einen flüchtigen Blick auf das Bild, dann zuckte er zusammen und musterte es gründlich, bevor er antwortete:
«Zuerst denkt man, die Frauen mit ihren Tüchern sähen alle gleich aus. Sie sind nicht mal Frauen, sondern verbotene Früchte. Dann beginnt man die Unterschiede zu erkennen. Ich bin diesem Mädchen nie begegnet, wie sollte ich auch? Wieso sollte Issa Omars Braut zu meinem Bekanntenkreis gehören? Offenbar hast du die wahre Identität der jungen Dame erst jetzt erfahren.»
Ich war Azizas Familie nie begegnet, da mit den Angehörigen andere gesprochen hatten. Und der Mord an Noor Ezfahani hatte die Suche nach den verschwundenen Mädchen vorübergehend unterbrochen. Aziza war angeblich in den Weihnachtsferien mit ihrem jungen Onkel nach Schweden gefahren, dort aber nie angekommen. War Azizas «Onkel» Issa Omar gewesen?
«Wer ist darüber informiert, dass Omar Jussuf Verbindungen nach Finnland hat?»
«Ich weiß nicht, ob Jussuf selbst hier Kontakte hat. Aber Issa hat welche. Seltsam, dass die Sicherheitspolizei die örtlichen Polizeistellen nicht informiert. Die werden ganz schön gelacht haben, als sie in der Zeitung lesen konnten, dass das Schicksal der in Espoo vermissten Migrantinnen nichts mit dem Mord an Noor Wie-war-noch-der-Name zu tun hat. Aziza gehört nicht in dieselbe Riege wie die anderen Mädchen. Sie ist ein Schutzschild, der es Issa Omar erleichtert, von einem Land ins andere zu reisen.»
Ich war mir nicht sicher, ob Vala sich das alles aus den Fingern sog, aber Uzuris E-Mail schien seine Behauptungen zu bestätigen. Vala saß vollkommen locker da, das unruhige Zucken, das er bei unseren vorigen Begegnungen an den Tag gelegt hatte, war verschwunden. Ich sah ihm in die Augen: Seine Pupillen waren normal. Vielleicht sollte ich beim Verteidigungsministerium nachfragen, ob er tatsächlich Urlaub hatte oder aus nervlichen Gründen nach Hause geschickt worden war. Allerdings würde man mir darüber wohl keine Auskunft geben, wenn ich keine offizielle Begründung für meine Anfrage vorlegen konnte. Schwedische Soldaten waren in Afghanistan getötet worden, als ein Mann in Polizeiuniform sie mit einer Feuerwaffe angegriffen hatte. Vielleicht hatte der Täter auf Omar Jussufs Gehaltsliste gestanden.
Als die Sirene eines Einsatzwagens aufheulte, zuckte Vala zusammen und erhob sich halb von seinem Stuhl, registrierte dann aber, dass
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