Sag mir, wo die Mädchen sind
der Alarm nicht ihn betraf. Ich selbst hatte im Lauf der Jahre gelernt, die Martinshörner zu ignorieren, wenn ich nicht über mein Handy oder dessen Vorgänger, den Beeper, persönlich alarmiert worden war.
«Wie gut kanntest du eigentlich Ulrike Müller?»
«Sie war so etwas wie eine … Freundin. Ich mochte sie.»
«Aber du wusstest nicht, weshalb sie in Wahrheit an dem Polizeischulprojekt teilgenommen hat?», fragte Vala fast belustigt. «Offenbar hatte sie viel weniger Vertrauen zu dir als zu mir. Oder sie hat mir nicht vertraut, sondern sich im kurzen Rausch verplappert.»
«Was für ein kurzer Rausch?»
«Ei, ei, wirst du eifersüchtig? Ich habe dir doch gesagt, dass Gefahr erregend wirkt. Zum Glück war Ulrikes letzter Abend wenigstens nicht langweilig. Es bestand tatsächlich die Gefahr, dass schon am Tag der Eröffnung ein Terroranschlag auf die Polizeischule verübt wird, was du in deiner Naivität offenbar nicht begriffen hast. Ulrike war sich dieser Bedrohung vollauf bewusst.»
Ich hörte schweigend zu, während Vala in selbstsicherem Ton erzählte, wie er und Ulrike nach der Eröffnungsfeier im Bett gelandet waren, und zwar in Ulrikes Zimmer. Sie war nach dem Sex eingeschlafen, und er hatte ihre Sachen durchsucht.
«Ulrike war nicht nur Polizistin, sondern auch Agentin des deutschen Geheimdienstes. Natürlich wollten unsere deutschen Freunde kontrollieren, was das für neue Polizisten waren, die für Afghanistan ausgebildet wurden. Der Hälfte der bisherigen Polizisten ist ja nicht zu trauen, niemand weiß, ob sie sauber sind oder sich von den Drogenbaronen bestechen lassen. Das hat Ulrike zugegeben, als ich ihr beim Aufwachen zugesetzt habe. Sie hat sich gewundert, dass die Finnen nicht begriffen hatten, wie riskant die Beteiligung an der Gründung der Polizeischule war. Oder hatten einige es doch kapiert? Woher soll ich wissen, weshalb du dich in Wahrheit für Aziza Abdi Hasan interessierst? Vielleicht suchst du sie, um sie an Issa Omar auszuliefern. Ulrike hat gesagt, nach den Erkenntnissen der deutschen Polizei habe Omar auch in Finnland Helfershelfer. Wenn ich daran denke, was finnische Polizisten verdienen, würde es mich nicht wundern, wenn der eine oder andere bestechlich wäre. Bist du der Maulwurf, Kallio?»
[zur Inhaltsübersicht]
16
V alas Frage war so absurd, dass ich nicht einmal lachen konnte.
«Um Himmels willen, Lauri, geh mit deinen Wahnvorstellungen zur Therapie. Ich bin kein Maulwurf, und Ulrikes Schmuck ist bloß Schmuck. Glaub mir endlich.»
«Was verletzt dich mehr? Dass Ulrike dir gegenüber nicht ehrlich war oder dass ich dich verdächtige?»
Ich antwortete, ich sei keineswegs verletzt. Ulrike war tot, Vala konnte ihr nachsagen, was er wollte.
«Du warst dort, in Afghanistan. Du weißt, was da los ist. Finnland befindet sich im Krieg, auch wenn die Regierung das bestreitet. Wenn die Verhandlungen mit einer feindlichen Seite vorübergehend erfolgreich verlaufen, werden die ahnungslosen Truppen von einer anderen feindlichen Gruppierung angegriffen. Die Taliban sind unschuldige Täubchen im Vergleich zu den Drogenbaronen, die nicht einmal an religiöse Vorschriften gebunden sind. In Finnland ist man so naiv, sich einzubilden, keiner würde uns etwas tun, wenn wir nur brav mitspielen. So läuft das nicht!»
Vala beugte sich vor und packte mein Handgelenk. Ich riss mich nicht los, um keine Schwäche zu zeigen, doch ich spürte, wie mein Puls sich beschleunigte. Das Gehirn registrierte die Gefahr und versuchte, das Herz zu warnen.
«Du begreifst, worum es geht. Ich weiß, dass du schon als halbes Kind zur Polizei gegangen bist. Ich wiederum habe mich zu den Friedenstruppen gemeldet, sobald ich alt genug war. Das klang einfach gut. Friedenstruppen schützen den Frieden, sie führen keinen Krieg. So ähnlich wie Freiheitskämpfer, man kämpft mit der Waffe für das Gute. Wie naiv man doch sein kann! Aber man bleibt es nicht lange. Warum soll man vorbildlich bleiben, wenn alle anderen vom Pfad der Tugend abweichen? Man guckt weg, wenn die Männer der benachbarten Einheit halbwüchsige Jungen zu hart anpacken. Dann geht man mit den anderen zu den Huren, obwohl man keine Ahnung hat, für wen die Mädchen anschaffen und ob sie überhaupt schon volljährig sind. Man ist so verdammt gleichgültig – und allein.» Er umklammerte mein Handgelenk noch fester. Ich nahm die freie Hand zu Hilfe und löste seinen Griff.
«Ich weiß über Aziza nur das, was ich dir gesagt habe. Ich
Weitere Kostenlose Bücher