Sag nichts, kuess mich
„Wie konnte das passieren?
Alles in ihr fiel zusammen, wusste sie doch, dass er eigentlich von ihr wissen wollte, wie sie so etwas hatte passieren lassen können. In einer Welt, in der ständig die Rede von der Gleichberechtigung der Frau war, waren Männer und Frauen noch lange nicht gleich, vor allem nicht, wenn es Sex betraf. An der Uni waren die Männer, die viele Freundinnen hatten, sexy Kerle gewesen, während die Frauen mit vielen Freunden den Stempel „Schlampe“ aufgedrückt bekommen hatten. Was nun eine ungewollte Schwangerschaft betraf … das war immer die Schuld der Frau, genau wie es immer die Frau war, die mit den Konsequenzen leben musste.
Nicolo hatte nichts dergleichen gesagt. Das brauchte er auch nicht. Es war in seinem Ton zu hören, stand in seiner Miene zu lesen, wurde klar durch die Anspannung, die von ihm ausstrahlte.
„Bist du sicher, dass es von mir ist?“
Alessia hatte mit dieser Frage gerechnet. Nichtsdestotrotz hasste sie ihn dafür, dass er sie stellte. Sie wollte ihn anschreien, wollte wüten und toben. Wie konnte er nur denken, dass er nicht der Vater des Kindes war?
Doch genauer betrachtet konnte sie es sogar nachvollziehen. Wenige Stunden, nachdem sie sich begegnet waren, war sie ihm in die Arme gesunken. In der nächsten Nacht hatte sie mit ihm geschlafen. Sie hatte Dinge mit ihm getan, die sie sich nie hätte vorstellen können.
Er lebte in einer Welt, in der die Leute relativ leicht und ohne Reue miteinander ins Bett gingen. Er konnte also nicht wissen, dass so etwas für sie nicht infrage kam. Wie sollte er ahnen, dass ihre Freunde sie wegen ihres mageren Sexlebens aufzogen? Sie hatte ihm auch nicht gesagt, dass sie seit vier Jahren mit keinem Mann zusammen gewesen war. Und deshalb konnte sie ihm seine Frage auch nicht verübeln.
Aber sie gab sich die Schuld dafür, so naiv gewesen zu sein und etwas so Flüchtiges wie Sex für Liebe gehalten zu haben.
„Ich habe dich etwas gefragt. Alessia. Bist du sicher, dass ich …“
Verzweiflung wurde durch jähen Ärger verdrängt. Wie konnte er es wagen, sie der Lüge zu bezichtigen? Wie konnte er es wagen, auch nur anzudeuten, sie würde von einem zum nächsten wandern?
„Nein“, erwiderte sie eisig, „bin ich nicht. Vielleicht ist das Kind ja vom Metzger. Oder vom Postboten. Es könnte natürlich auch vom Empfangschef in meinem Apartmentgebäude in Rom sein. Oh, da war auch noch der Kellner letzte Woche in dem Restaurant. Möglicherweise ist es von dem Drummer der Punk-Band, die ich neulich betreut habe. Oder …“
Nicolo packte sie grob bei den Schultern. „Du hältst das für lustig?“
„Ich halte es für extrem dumm von mir, dass ich dir überhaupt etwas davon gesagt habe.“ Ihre Augen schleuderten Blitze. „Vergiss es einfach. Es ist schließlich nicht dein Problem, sondern meines.“
„He, ich habe nie gesagt, dass …“
„Ich bin daran gewöhnt, allein für mich zu sorgen. Ich brauche deine Hilfe nicht.“ Sie schüttelte seine Hände ab. „Ich hätte auch nichts gesagt, wenn du dich nicht in meine Privatsphäre gedrängt hättest.“
Er zog die Augenbrauen in die Höhe. „Wie bitte?“
„Die Badezimmertür war geschlossen. Ich hatte dich gebeten, nicht hereinzukommen. Entgegen meiner Bitte hast du es dennoch getan und mich im schlimmsten Moment überrascht, als ich es selbst gerade erst herausgefunden hatte.“ Sie hob ihr Kinn. „Wenn du also nicht ungebeten hereingeplatzt wärst …“
Nick fluchte unflätig. „Das ist Blödsinn, und du weißt es auch!“, sagte er rau und grub seine Finger erneut in ihre Schultern. „Du bist schwanger, und ich bin dafür verantwortlich. Deshalb ist es ebenso sehr mein Problem wie deines.“
Seine Worte hätten sie wärmen müssen. Taten sie nicht. Die Schwangerschaft war ein Problem, sicher, aber ihr gefiel es nicht, das Wort aus seinem Mund zu hören. Es mochte albern sein, aber so war es nun mal. Ihre Mutter war schon ihr ganzes Leben das „Problem“ ihres Vaters. Um nichts auf der Welt würde sie Nicolo Orsinis „Problem“ werden. Oder zum „Problem“ irgendeines anderen Mannes.
„Lass mich los“, verlangte sie mit eisiger Ruhe.
„Dann rede nicht davon, ich wäre in deine Privatsphäre geplatzt, wenn deine angebliche Privatsphäre unser beider Leben für immer verändert.“
„Ich nehme grundsätzlich keine Befehle entgegen, Mr Orsini.“
Grundgütiger, was soll der ganze Unsinn, dachte Nick entnervt. Erst ließ sie eine solche Bombe
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