Sag niemals nie
Die Raves waren die perfekte
Mischung aus psychopathischem Serienmörder und süßem, tapsigem Mamasöhnchen,
eine Kreuzung aus Marilyn Manson mit der Vogelscheuche aus dem »Zauberer von
Oz«.
»Mir gefällt er«, beharrte
Jenny. Sie rückte ihren Stuhl so hin, dass sie ihn direkt im Blickfeld hatte.
Als er ihr zuzwinkerte, giggelte sie und wurde feuerrot.
»'ne Menge hübsche Frauen
hier«, raunte der Drummer in sein Mikro und lächelte dabei eindeutig zu Jenny
rüber. Er hatte regelmäßige weiße Zähne, einen breiten Mund wie die Grinsekatze
aus »Alice im Wunderland« und kurze dunkle Haare, die so geleckt aussahen, als
wäre er eben erst bei dem altmodischen Herrenfrisör Ecke 83. Straße und
Lexington gewesen, zu dem alle kleinen Jungs von der Upper East Side mit ihren
Dads gingen, um den ersten richtigen Haarschnitt ihres Lebens zu bekommen.
»Mich erinnert er an den
Fettsack aus dem einen Film«, sagte Elise, als wäre es ganz klar, von welchem
Film die Rede war.
»Er ist nicht fett«, fuhr Jenny
sie an.
Elise zog eine ungeöffnete
Schachtel Marlboro Lights aus ihrer Glitzertasche und warf sie auf den Tisch. »Das
kann man erst beurteilen, wenn man jemanden nackt sieht.«
Jenny musterte den Drummer
nachdenklich und fragte sich, ob das stimmte. Sie wusste noch nicht einmal, wie
er hieß, aber sie fand ihn wirklich süß. Und sie hätte nichts dagegen gehabt,
ihn nackt zu sehen. Die Gesamtanzahl der Männer, die sie im Leben nackt gesehen
hatte, belief sich gerade mal auf... null?
Der Club füllte sich zunehmend.
Jenny erkannte ein paar der Leute wieder, die draußen in der Schlange gewartet
und es endlich reingeschafft hatten. Plötzlich ging das Licht aus, ein
einzelner Spot strahlte die Feuerwehrstange an. Jenny ertrug die Spannung kaum.
Unter dem Tisch tastete sie nach Elises Hand und drückte sie fest. Wwwusch. Damian, der Leadgitarrist der
Raves, kam die Stange heruntergerutscht. Seine rotblonden Haare ragten steil
nach oben, als hätte er komisch darauf geschlafen. Er trug ein schlichtes
weißes T-Shirt mit einem großen »R« darauf - das neue Promo-T-Shirt der Raves,
das er eigenhändig de- signt hatte.
Falls man in diesem Fall von
»Design« sprechen konnte.
Die Raves konnten sowieso
ungestraft anziehen und tun, was sie wollten, weil sie aus allerbestem Stall
kamen. Sie waren allesamt Söhne aus guten Familien von der Upper East Side,
kannten einander vom Internat und konzentrierten sich jetzt auf die Band,
statt zu studieren. Vor ein paar Monaten hatte der Rolling Stone in einem Artikel
geschrieben, alle Raves hätten bereits Zusagen aus Prince- ton in der Tasche
gehabt, als sie an einem schicksalhaften Abend im Mai kurz vor ihrem
Schulabschluss in einem Cafe in Deerfield aufgetreten wären. Ein Typ im
Publikum hätte zufälligerweise gerade seinen Vater, den Boss einer großen
Plattenfirma, am Handy gehabt, der ihnen an Ort und Stelle über Telefon einen
Plattenvertrag angeboten habe. Die vier Jungs hätten daraufhin beschlossen, auf
das Studium zu verzichten.
Gibt es einen besseren Weg,
sich seinen Eltern dankbar dafür zu zeigen, dass sie einem immer alle Wünsche
erfüllt haben, als sich noch vor dem zwanzigsten Geburtstag vom eigenen Geld
ein Auto und ein Haus zu kaufen? Letzten Endes ist es finanziell viel
einträglicher, Rockstar zu werden, als in einem völlig sinnlosen Fach wie
Philosophie einen Abschluss zu machen. Außerdem war der Plattenfirmenboss
nebenbei auch noch mit der Chefin einer französischen Modelagentur
verheiratet, was bedeutete, dass permanent wunderschöne französische Models um
sie herumschwirrten - ein netter Zusatzbonus.
Jenny beobachtete nervös, wie
Dan hinter Damian die Stange herunterrutschte und mit einem dumpfen Knall auf
den Knien landete. Er war grünlich im Gesicht, seine Haare waren
schweißverklebt und seine Augen drehten sich immer wieder nach oben. Außerdem
war er wie ein HipHop- per angezogen, was überhaupt nicht zum Eliteschüler-Look
der übrigen Raves passte.
»Was hat er denn für eine Hose
an?« Elise guckte erschrocken, als könne sie nicht ganz glauben, dass sie sich
jemals von Dan hatte küssen lassen. »Und was ist mit seinen Haaren?«
Jenny zuckte mit den Schultern.
Sie musste zugeben, dass Dan ziemlich merkwürdig aussah, aber lieber himmelte
sie weiter mit großen, feuchten Augen den Drummer an, als zu analysieren,
wieso ihr Bruder auf einmal wie Eminem auszusehen versuchte. Als der Drummer
ihr wieder zulächelte, schlug sie
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