Sag niemals nie
keusch die Lider nieder und wünschte sich,
ihre Wimpern wären länger oder sie hätte sie mehr getuscht. Außerdem hätte sie
gern den Mut aufgebracht, an die Bar zu gehen und ihm einen Wodka oder so
etwas auszugeben. Serena würde so etwas glatt machen. Ach, wäre sie doch nur
da. Obwohl - vielleicht war es ja auch besser so. Immerhin lächelte der
Schlagzeuger sie an. An Serenas Seite hätte er Jenny womöglich gar nicht bemerkt.
Das Publikum wurde jetzt
ziemlich laut und schien sich verdoppelt zu haben. Elise zündete eine Zigarette
an und reichte sie an Jenny weiter. Bis jetzt war keine Bedienung
vorbeigekommen, um ihnen etwas zu trinken zu bringen, aber wenn man vierzehn
ist, fühlt man sich schon cool genug, wenn man in einem Raum voller
Erwachsener raucht.
Damian schrammelte einen Akkord
auf seiner Gitarre, der Schlagzeuger schlug einen Trommelwirbel, der magersüchtig
aussehende, dunkelhaarige Bassist knackste mit den Knöcheln und Dan hustete
direkt ins Mikro etwas Schleim ab.
Ekelhaft.
»Ah, okay... wahrscheinlich
sollte ich jetzt anfangen zu singen«, murmelte er dann ziemlich unkoordiniert.
Ein paar Leute im Publikum lachten. Jenny fand, dass Dan genauso klang wie an
dem Morgen, als er aufgewacht war und festgestellt hatte, dass der Pulverkaffee
aus war, worauf er sich vor lauter Schwäche erst mal übergeben hatte. Jenny
war zum nächsten Deli gerannt und hatte ihm dann vier Tassen Kaffee eingeflößt,
um ihn einigermaßen wieder zu beleben. Sie legte den Kopf schräg, zog an ihrer
Zigarette und blies einen langen Streifen Rauch in die Luft. Vielleicht machte
er bloß einen auf daneben, damit alle umso überraschter waren, wenn er sich
wieder in den rasenden Raver von Vanessas Geburtstagsparty verwandelte.
Ja, kann sein.
Kann aber auch nicht sein.
selbst v
wendet sich mit grausen ab
Als Vanessa zum »Funktion« kam,
wartete Beverly draußen schon auf sie. Er trug wieder die weite schwarze Hose
und die orangen Flipflops vom Vortag, hatte sich einen Mittelscheitel in die
schwarzen Haare gezogen und versteckte seine blassblauen Augen hinter einer
kleinen verspiegelten Nickelbrille. John Lennon trifft Keanu Reeves.
»Hi«, begrüßte Vanessa ihn und
hoffte inständig, dass sie nicht zu überschwänglich klang. »Schöne Brille.«
Tolles Lippenpiercing. Du
duftest fantastisch, versuchte sie ihm telepathisch als Erwiderung
einzuflüstern. Übrigens weiß ich jetzt schon ganz, ganz sicher, dass ich bei dir einziehen
will.
»Sollen wir?«, war alles, was
er stattdessen fragte.
Die Raves hatten schon
angefangen zu spielen, weshalb die Schlange vor dem Club etwas geschrumpft
war. Vanessa ging direkt zum Eingang. »Abrams. Ich stehe auf der Gästeliste«,
sagte sie dem Türsteher. Plötzlich wurde ihr bewusst, dass Dan sie gleich zum
ersten Mal mit einem anderen Mann sehen würde, und sie wünschte, sie könnte
sich Beverly einfach schnappen und direkt vor der Bühne mit ihm rumknutschen.
Als ob Dan irgendwas davon
mitkriegen würde. Der Türsteher musterte die beiden von oben bis unten und
hakte dann das rote Samtseil aus. Vanessa hörte, wie Leute in der Schlange
hinter ihnen neidisch aufstöhnten, als sie hereingelassen wurden. Beverly
sagte nichts, anscheinend fand er so eine coole Sonderbehandlung normal.
Im »Funktion« war es laut,
voll, verraucht und heiß - also genau so, wie es sich für einen guten Club
gehört. Die Raves bearbeiteten ihre Instrumente mit gewohnter Verve, aber
irgendwie hatte Vanessa den Eindruck, dass das Publikum den Text lauter sang
als Dan. Sie konnte ihn nicht sehen, aber sie hörte ihn röcheln. Es klang, als
hätte er sich verschluckt:
schlag mich auf wie ein ei!
brenn mir ein loch in den
finger
bis ich mich selbst finde,
herausfinde, dass ich dich
verliere!
ich vermiss dich und
wie du mich in den arsch getreten hast!
Hey, das wird doch wohl kein autobiografischer Song
sein?
Zumindest war er neu. Dan hatte
ihn erst letzte Woche geschrieben. Trotzdem war es irgendeinem Hardcore-
Raves-Fan bereits gelungen, ihn auf einer ihrer Bandproben heimlich aufzunehmen
und als Bootleg-mp3 zu verbreiten, weshalb die Raves-Jünger den Text schon
auswendig kannten und lautstark mitbrüllten, was ganz gut war, weil Dans
Stimme kaum zu hören war.
Vanessa bahnte sich einen Weg
durch das Gedränge in den hinteren Teil des Clubs. An einem Ecktisch saßen
Dans kleine Schwester Jennifer
und ihre Freundin Elise, pafften Zigaretten und nickten derart
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