Sag niemals nie
Ifford. Eigentlich hätte er sich wie ein Sieger fühlen müssen. Seine persönliche Assistentin hatte ihm am Vormittag mitgeteilt, seine Anwälte hätten die Unterzeichnung der Vertragspapiere für das Château bestätigt.
Er hatte gewonnen.
Doch jetzt stand er im eleganten Wartezimmer und fragte sich, wieso er keine Freude über diesen hart erkämpften Erfolg empfand.
Er hatte sein Ziel erreicht. Es war der Höhepunkt seines jahrelangen persönlichen Einsatzes. Er würde ein Forschungszentrum für Kinderasthma, gekoppelt mit einer hochmodernen Klinik für Atemwegserkrankungen, einrichten. Dadurch würde er vielleicht dem lang ersehnten inneren Frieden näher kommen.
Seufzend blickte er zum luxuriösen Kronleuchter empor.
Es war immer wieder dasselbe.
Sobald er ein Ziel erreichte, brachte es ihm keine Befriedigung mehr. Jetzt hätte er das Gefühl haben müssen, sein Versprechen Lucia gegenüber eingelöst zu haben. Das Gefühl, etwas für sie getan zu haben.
Es stellte sich nicht ein.
Innerlich fühlte er sich so kalt und leer wie nie zuvor.
„Signor Emiliani? Monsieur Clermont bittet Sie herein.“
Angelo stand auf und folgte der blonden Sekretärin ins Anwaltsbüro. Ihre langen schlanken Beine machten keinerlei Eindruck auf ihn.
Wo mochte Anna sein?
Beim Gedanken an sie verspürte er einen Stich im Herzen. Was war nur mit ihm los?
„Geht es Ihnen nicht gut, Monsieur?“
Abwesend blickte er Monsieur Clermont an. „Doch, doch. Entschuldigung, ich bin nur müde. Es war nicht einfach, den Kauf durchzubringen.“
Er sah Annas rebellische Züge, den aufsässigen Ausdruck in ihren Augen vor sich.
Der Anwalt lächelte. „Das tut mir leid. Lady Delafield hat sich vielmals entschuldigt, als sie heute Vormittag hier war und die Papiere unterschrieb. Jetzt dürfte alles glatt über die Bühne gehen. Wenn Sie bitte an den angekreuzten Stellen unterzeichnen würden …?“
„Sicher.“
Angelo überflog das Dokument, überprüfte rasch die Einzelheiten.
Eine Verwünschung entrang sich ihm, als er den Namen las, der auf dem Vertrag stand.
Roseanna Josephine Delafield.
Das also war der volle Name der geheimnisvollen Anna Field.
11. KAPITEL
England, einen Monat später
Der kalte Wind pfiff über den Platz vor den Stallungen und wehte das raschelnde Laub über die alten Pflastersteine. Dieses Jahr setzte der Herbst früh ein. Die kühlen, regnerischen Tage entsprachen Annas Stimmung.
Es fiel ihr nicht leicht, diese Zeit durchzustehen.
Mit klammen Fingern schloss sie den Melkraum ab und legte den Kopf seufzend an die Tür. Den Nachmittag hatte sie damit verbracht, einer Gruppe Siebenjähriger aus der Dorfschule vorzuführen, wie Butter gemacht und Brot gebacken wurde. Sie fröstelte in ihrem dünnen viktorianischen Milchmädchengewand. Die Begeisterung der Kleinen freute und rührte sie. Doch seit sie aus Frankreich zurück war, fühlte sie sich innerlich wie erstarrt.
Früher hatte sie es gehasst, wenn Ifford Park für Besucher geöffnet wurde. Die endlosen Ströme von fremden Menschen, die sich durch die kalten Prunksäle und Marmorhallen mit den Gemälden erhabener Vorfahren der Delafields wälzten, hatte sie nur geringschätzig geduldet.
Doch das hatte sich geändert. Sie, Anna, hatte sich geändert. Jetzt schämte sie sich für ihre einstige Überheblichkeit. Sie hatte sich für so fortschrittlich gehalten. Hatte alles abgelehnt, wofür ihre Familie stand. Aber das war vermutlich nur Feigheit gewesen. Und die Weigerung, sich einzugestehen, dass sie sich selbst für etwas Besseres hielt.
Sicher wäre Angelo stolz gewesen, wenn er sie an diesem Nachmittag erlebt hätte. Lächelnd dachte Anna an das kleine Mädchen, das ehrfürchtig ihr geblümtes Bäuerinnengewand berührt und erklärt hatte: „Mir gefällt Ihr Kleid, Miss. Es ist wunderschön. Ich wünschte, ich wäre auch eine Melkerin.“
Anna hatte sich vor dem Mädchen hingekniet und es fest angesehen. „Wie heißt du?“
„Emma, Miss.“
„Also, Emma, ich verrate dir ein Geheimnis. Wenn du vor hundert Jahren gelebt hättest, wärst du als Melkerin nicht glücklich gewesen. Dann hättest du früh um fünf in kalten Räumen aufstehen müssen, weil es damals noch keine Heizung oder Strom gab. Den ganzen Tag lang hättest du für wenig Geld schwer arbeiten müssen. In der Kälte und Feuchtigkeit hätten dir die Hände geschmerzt. Freiheit und Zeit zum Spielen hättest du nicht gehabt. Du wärst froh gewesen, ein Dach über dem Kopf zu
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