Sag niemals nie
ist.“
„Was machst du hier?“
„Ich wollte dich besuchen.“ Er schlug einen lockeren Ton an, sie durfte nicht merken, dass er Angst hatte. „Was hast du dir dabei gedacht, ohne Helm wie eine Wahnsinnige zu reiten? Du hättest dir das Genick brechen können.“
„Du bist schuld“, brachte Anna matt hervor. „Wegen des Hubschraubers hat das Pferd gescheut.“ In ihrem Kopf dröhnte es, hilflos ließ sie sich ins Gras zurücksinken.
„Anna, ich bin nicht gekommen, um mit dir zu streiten“, erwiderte Angelo streng. „Bitte, lieg ganz still.“
„Mir geht’s gut.“ Zaghaft lächelnd richtete sie sich auf und versuchte, Arme und Beine zu bewegen. „Schau, Angelo. Alles ist in Ordnung.“ Sie betrachtete ihn. In der Abendsonne wirkte sein blondes Haar wie ein Heiligenschein.
Auf einmal fühlte sie sich schrecklich müde. „Angelo, du bist doch wirklich hier?“, flüsterte sie. „Du bist doch keine Einbildung? Das könnte ich nicht ertragen …“
Er fing sie auf, ehe sie erneut bewusstlos wurde.
Gehirnerschütterung, lautete das Ergebnis der Untersuchung des Arztes.
Im Salon hatte Angelo mit feuchten Holzscheiten notdürftig ein Feuer in Gang gebracht. Dennoch war es im Raum immer noch kalt.
„Es ist nichts Ernstes“, erklärte der junge Arzt. „Aber Sie sollten in den nächsten vierundzwanzig Stunden ein wachsames Auge auf sie halten. Falls sie erneut das Bewusstsein verliert oder Ihnen etwas beunruhigend erscheint, rufen Sie mich sofort, Mr. …“
„Ich finde, sie gehört ins Krankenhaus“, unterbrach Angelo ihn rau.
Nervös rückte Dr. Adams sich die Brille zurecht. „Dort kann man auch nicht mehr für sie tun. Ich verstehe Ihre Besorgnis. Sie ist schlimm gestürzt, aber sie hat noch einmal Glück gehabt. Es gibt keinerlei Anzeichen für innere Blutungen, ich habe sie gründlich untersucht.“
Angelo kniff die Augen zusammen.
„Im Moment ist sie sehr müde und braucht Ruhe“, fuhr der Arzt fort. „Aber sehen Sie stündlich nach ihr. Ich schaue noch bei Sir William herein, um zu sehen, wie es ihm geht. Außerdem muss ich ihm vom Zustand seiner Tochter berichten.“
Angelo nickte. Er trat an den Kamin und versuchte, seine kalten Hände zu wärmen.
An der Tür blieb der Arzt stehen und blickte nochmals zu dem blonden Fremden, der sich so rührend um Lady Delafield sorgte.
„Es wird ihr bald wieder gut gehen“, versicherte er Angelo.
Angelo klopfte an die schwere Eichentür von Annas Zimmer. Als sich drinnen nichts rührte, trat er ein. Hier war es noch kälter. Kein Wunder, dass er so sehr zitterte!
Anna lag in einem großen Himmelbett mit verschlissenen Samtvorhängen und sah aus wie eine Zwölfjährige. Ihr dunkles Haar floss seidig übers Kissen, beim Anblick ihres zarten Gesichts verspürte Angelo einen Stich im Herzen. Wie zerbrechlich sie aussah! Er dachte daran, wie biegsam sie sich auf der Yacht um die Stange gewunden hatte. Jetzt wirkte sie so schwach, als könnte sie nicht einmal einen Löffel halten.
Seine Kehle war wie zugeschnürt. Es kam ihm wie eine Ewigkeit vor, seit er Anna nach dem Sturz hier heraufgebracht hatte. Sie war wieder zu sich gekommen, hatte sich jedoch schwindlig und schwach gefühlt. Er hatte sie an sich gedrückt, während er mit bebenden Fingern die Haken ihres Milchmädchenkostüms löste.
Er hatte ihr das Mieder abgestreift und sie behutsam aufs Bett gelegt. Dann hatte er sich nach etwas umgesehen, das er ihr anziehen könnte. Unter dem Kopfkissen hatte er etwas ertastet, das er für ein Nachthemd hielt, und es hervorgezogen.
Es war sein Hemd, das er ihr in der Villa Santa Domitilla gegeben hatte.
Er zog sich einen zerschlissenen Polsterstuhl ans Bett und setzte sich zu Anna. Bisher war er mit Gefühlen fertig geworden, indem er sie einfach verdrängte und sich anderen Dingen zuwandte. Dem nächsten Geschäft, dem nächsten Spiel, der nächsten Blondine. Er hatte sich eingeredet, sein Herz sei verkümmert, vielleicht sogar abgestorben.
Nun musste er feststellen, dass es keineswegs so war. Er war mitfühlend und verletzlich. Es hätte ihn erleichtern müssen, dass er doch fähig war, zu lieben. Aber das war unerträglich schmerzlich …
Stundenlang saß Angelo an Annas Bett. Er betrachtete ihre Züge, bis es dunkel wurde und er sie kaum noch erkennen konnte. Doch das störte ihn nicht. Jedes Merkmal ihres Gesichts hatte sich ihm unauslöschlich eingeprägt.
Aber kalt war es hier … wie im Waisenhaus. Er stand auf und streckte die
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