Saga von Dray Prescot 17 - Vallian-Zyklus 03 - Dayra von Scorpio
Tempeldiener, das Schwanken der nackten Tempeltänzerinnen – dies alles sollte den Verstand von den Sinnen trennen, sollte falsche Bilder heraufbeschwören, sollte einer Vielzahl von Halluzinationen Vorschub leisten.
Öffnete San Guiskwain der Verdorrer wirklich die Augen? San Uzhiro setzte seinen Gesang konzentriert fort.
Guiskwain, tot und doch am Leben, richtete sich in seinem Kristallsarg auf und sah sich um, einen skelettartigen Arm drohend erhoben.
Niemand verlor das Bewußtsein – alle waren wie gebannt von der unheimlichen okkulten Kraft, die sich unter der Kuppel ballte.
»Er lebt!« rief Uzhiro schrill. »San Guiskwain lebt! Durch ihn wird die Armee unbesiegbar sein. Durch den größten Zauberer, der tot ist, doch zugleich am Leben, werden die Hawkwas alles erreichen! Guiskwain lebt!«
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Ob er wirklich lebte oder tot war, machte keinen Unterschied.
Ob er in seinem Kristallsarg vermoderte oder auf ketzerischste Weise durch Hexenkraft in ein Scheinleben zurückgeholt worden war, erwies sich nicht als wichtig.
Wichtig war allein der Glaube, der Eindruck, der Effekt.
Die Anwesenden glaubten daran.
Das langgedehnte, stöhnende Erschaudern bewegte sie wie ein Rashoon auf dem Auge der Welt. Sie beugten sich. In einem gewaltigen ächzenden Rascheln und Geklapper von Waffen und Rüstungen neigten sie die Köpfe, fielen auf die Knie, hoben die Arme in endlosen Reihen der Hingabe.
War meine Tochter dort unten, eins mit dem hypnotisierten Mob? Senkte Dayra den Kopf, bebte sie mit den anderen?
Woher sollte ich das wissen, bei Makki-Grodnos stinkenden Eingeweiden?
Ich zitterte ebenfalls. Schweiß lief mir über die Stirn und beißend in die Augen. Ich blinzelte, schluckte, fluchte – die Handlungsweise eines Dummkopfes, der keinen vernünftigen Gedanken in seinem dicken Voskschädel bewegte.
Ein rotuniformiertes Kampfmädchen eilte an den nackten Tempeltänzerinnen vorbei und flüsterte Udo etwas zu. Er hob den Kopf und gab Uzhiro ein Zeichen. Die beiden sprachen kurz miteinander. Dann wandte sich Uzhiro an die Menge und forderte sie auf, sich aufzurichten und auf die herrliche Gestalt Guiskwains zu blicken.
Trylon Udo trat vor. Er hob eine Hand und sprach mit viel Pathos:
»Im Kampf sind wir bereits unschlagbar. Die Kraft San Guiskwains des Verdorrers ist bereits auf unserer Seite. Er wird unsere Feinde vernichten. Lange haben die Hawkwas auf diesen Augenblick gewartet. Jetzt ist er gekommen. Es gibt Neuigkeiten. Die Armee aus Hamal, die im Süden Vallias gelandet ist, konnte einen großen Sieg erringen. Die Streitmacht des Herrschers ist zerschlagen, seine Krieger liegen tot am Boden, ihr Blut tränkt den Staub. Dies ist ein weiteres Zeichen! Guiskwain ist bei uns, nichts kann sich uns mehr in den Weg stellen!«
Die Cramphs waren also nicht aus Pandahem gekommen, sondern aus dem mit Vallia verfeindeten Hamal. Eine Armada von Himmelsschiffen hatte sie gebracht; soviel durfte ich als gewiß voraussetzen. Und Delias Vater, der Herrscher, war besiegt. Hatte seine Leibwache, die Roten Bogenschützen, ihn verraten, bestochen mit rotem Gold? Was war mit den Männern, die ihm treu dienten? Was war mit den Blauen Bergen, mit Delphond, mit meinen valkanischen Bogenschützen? Was war im Süden geschehen? Und Delia ...
In egoistischem Starrsinn hatte ich nach meiner Tochter Dayra gesucht – und in der Zeit meiner Abwesenheit konnte das große Vallianische Reich zusammengebrochen sein.
»Unsere Flugboote werden uns nach Süden befördern!« fuhr Udo in freudiger Erregung fort. »Wir werden uns unseren Freunden aus Hamal anschließen. Wir marschieren auf Vondium und erobern diese große Stadt! Heil San Guiskwain! Heil den Hawkwas!«
In diesen Ereignissen glaubte ich wieder den Einfluß Phu-Si-Yantongs wahrzunehmen, der die Pallans rings um die Herrscherin Thyllis zu lenken wußte. Von ihm kamen das Geld und die Waffen und jetzt auch die Flugboot-Flotte für Trylon Udo – mit dem Ziel, Vondium zu erobern. Und wenn der richtige Augenblick gekommen war, würden Phu-Si-Yantongs Werkzeuge, Stromich Ranjal und Zankov, Udo beseitigen und den Weg für den Zauberer aus Loh bereiten. Anders konnte es nicht sein.
»Jetzt reicht's!« rief ich aus. »Wenn du tatsächlich lebst, du verhexter Kleesh, dann wirst du gleich wieder tot sein!«
Ich zog den Bogen aus seiner Hülle, spannte ihn, legte einen blaugefiederten Pfeil auf. Der Pfeil flog klar ins Ziel. Kraftvoll zuckte er durch den mächtigen Kuppelraum,
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