Saga von Dray Prescot 18 - Vallian-Zyklus 04 - Goldenes Scorpio
fordernd, gaben das Kommando zum ›Vorrücken!‹. Ich sah – ah! Wie deutlich erinnere ich mich daran! –, ich sah die langen Reihen der Voskschädel-Helme, mit schimmernder Bronze beschlagen, die roten Büschelkronen in nickender Bewegung, ich sah die abgezirkelte Schildmauer, rot und gelb. Ich sah den geballten Lanzenwald, einheitlich geneigt, Reihe um Reihe, ich hörte das schwere widerhallende Geprassel der Trommeln und das rhythmische Trampeln bronzebesetzter Kampfstiefel. Reihe um Reihe rückten Relianches und Jodhris vor. Die Phalanx marschierte in den Kampf!
Der durchdringende Geruch der roten Blume des Letha-Baums stieg mir in die Nase – Halluzination oder Erinnerung, die Rückbesinnung an eine andere Zeit, an einen Ort, da diese Maschine des Ruhms, der Einordnung, der Vernichtung geboren worden war. Ich erbebte.
Ich, Dray Prescot, erzitterte im bösen Griff geballter Kampfmacht. Denn Jak der Drang hatte immer wieder gewarnt, und die Brumbytes hatten gelacht und mich nicht beachtet. Und ich wußte, was ich wußte. Meine aufgeputschten, undisziplinierten Freiheitskämpfer würden sich gegen die eisernen Horden Hamals aufreiben. Mich überkam eine große Versuchung, schreckliche Visionen der bevorstehenden Ereignisse suchten mich heim. Die Phalanx rückte in perfekter Formation vor, bewegte sich wie ein einziger gigantischer Organismus.
Durfte ich es tun? Wagte ich es? Hatte ein Mann überhaupt das Recht, von einem anderen ein Opfer an Blut und Leben zu fordern? Selbst wenn es dabei um das Schicksal eines Landes, eines Reiches und aller seiner Völker ging? Ich wußte, was Nath Nazabhan sagen würde. Ich wußte, welcher Antwortschrei mir aus den Reihen der Brumbytes und Hakkodin entgegensteigen würde. Und doch waren die Konsequenzen des Egoismus nicht zu übersehen.
Bebend, unentschlossen, hadernd mit dem Schicksal, das mich an diesen Punkt geführt hatte, saß ich auf meiner Zorca. Mit welchem Recht ...?
Ein Mann wird Herrscher genannt und übt Macht über zahlreiche Männer und Frauen – gibt ihm das ein solches Recht? Ich glaube nicht. Ich war Herrscher genannt worden von jenem tobenden Mob, der in Kürze vernichtet sein würde, ebenso von den ordentlich formierten Lanzenkämpfern, die mein Signal erwarteten. Sie hatten mir die Macht in die Hand gegeben – und das nicht, weil ich mit dem Yrium gesegnet oder geschlagen bin. Ihr Schicksal ruhte in meinen Händen. Ob ich dessen nun würdig war oder nicht – es lag alles an mir. Obwohl ich nur ein einfacher Seemann bin, war mir das Schicksal eines ganzen Reiches anvertraut.
Diese Herrschaftsvision auf dem Feld von Voxyri, diese verfliegende Halluzination von Macht und Ruhm angesichts der Phalanx, die in perfektem Einklang anhielt, funkelnd, vom Sonnenlicht umspielt, mein Signal erwartend – mein Signal! –, überwältigte mich. Ich sah die stolzen Flaggen über den Jodhris. Nath hatte mir mitgeteilt, daß man den Jodhris neue Symbole zugeteilt hatte. Scharlachrot waren diese Flaggen, scharlachrot unter einem breiten gelben Kreuz. Er wußte also Bescheid! Sein Vater Nazab Nalgre mußte ihm die Wahrheit anvertraut haben.
Über der strahlenden, furchteinflößenden Masse der Phalanx, die meine Kommandos erwartete, flatterte die altbekannte Kampfflagge Dray Prescots.
Konnte ich also die schwere Entscheidung treffen und meine Hände und mein Herz mit jenem schleichenden Tod belasten, den eine solche Entscheidung bringen mochte? In dem sonnenhellen Panorama glaubte ich plötzlich ein abgeschlossenes Zimmer in einem anonymen Hotel oder einer vornehmen Taverne wahrzunehmen, die Wände mit Wandteppichen verkleidet, mit schimmernden Samphronöl-Lampen und einem weiß bezogenen Bett. Ganz deutlich sah ich dieses Gemach, während die Trompeten schmetterten und die Zorcas die Köpfe hochwarfen und die eisernen Legionen aus Hamal gegen jene unbesonnene, pathetische Attacke der Freiheitskämpfer vorrückten.
In dem Raum sah ich eine Frau stehen, halb abgewandt; der Schein der Öllampen ließ ihre Umrisse angenehm hervortreten. Das rosafarbene Licht schimmerte auf ihrem Fleisch. Ich sah, wie sich ihr Kopf auf vertraute Weise hob, sah ihr dichtes braunes Haar in vertrauten Schwüngen herabfallen, kastanienrot funkelnd. In diesem Zimmer, das nicht das unsere war, stand Delia und lächelte und füllte mein Denken und Herz, und ich saugte sie förmlich in mich auf und vertrieb meine Betrübnis mit ihrer Güte. Ihr offenes Lächeln, dieses ganz besondere,
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