Saga von Dray Prescot 23 - Spikatur-Zyklus 01 - Die Bestien von Antares
wie ich es schaffte, nicht zu laufen.
Dann hob ich die golddurchwirkten Vorhänge hoch.
Delia sagte: »Wir haben keinen der beiden gefunden, und ich komme zu spät zum Tag des Segensreichen Opaz – ein unmögliches Benehmen für eine Herrscherin!«
Da mußte ich lachen, ich, Dray Prescot!
Weder Delia noch mir lag der Titel eines Herrschers oder einer Herrscherin wirklich am Herzen. Im Grunde wollten wir nur die uns übertragene Aufgabe lösen.
»Was immer du auch tust, mein Schatz«, sagte ich, »die Vallianer lieben dich.«
Und so schritten wir gemeinsam zum Tempel des Segensreichen Opaz empor.
Delia sah großartig aus und schien von innen her zu strahlen. Sie trug ein schlichtes weißes Gewand mit ihren beiden Broschen, darüber einen Umhang, in dem sich Scharlachrot und Gold, Hellrot und Silber zu einem kunstvollen Gemisch vereinten, das Pracht mit gutem Geschmack verband. Das braune Haar hatte sie hochgekämmt, durchzogen von Gold und Edelsteinen, und es funkelte wieder einmal aufregend kastanienrot und zeugte von einer perfekten natürlichen Schönheit. Wie wir alle war sie bewaffnet: Rapier und Dolch baumelten an edelsteinbesetzten Halterungen ihres kostbaren Gürtels.
»Und schrecklichen Hunger habe ich auch«, sagte sie auf der Treppe.
»Jilian?«
»Sie setzt die Suche fort. Aber die Spur ist längst erkaltet.«
Als das Volk Delia sah, drehte es durch.
Ein unglaubliches Jubelgeschrei, schrill geäußerte Wünsche, Opaz möge ihr gewogen sein – ein Brausen der Liebe und Zuneigung stieg zum klaren Himmel über Vondium auf.
Delia lächelte. Die ganze Welt wurde heller. Sie sah wunderbar aus. Mit einer unglaublich anmutigen Geste hob sie die Hand und verneigte sich nach links und rechts zur Menge und ging dann mit erhobenem Kopf weiter, stolz, überragend, strahlend – Delia, Delia aus Delphond, Delia aus den Blauen Bergen.
Und ich, Dray Prescot, hatte den Vorzug, an ihrer Seite zu schreiten. Ach, ganz übel war es doch nicht, Herrscher von Vallia zu sein!
Der Rest des Tages verschwimmt ein wenig in meiner Erinnerung. Allen erforderlichen Ritualen wurde Beachtung gezollt. Immer wenn ich außerhalb der gewohnten Feste eine Rede halten sollte, fiel es mir nicht schwer, die Vondianer an die Gefahren zu erinnern, die wir gerade überwunden hatten, und die Risiken auszumalen, die uns noch drohten.
»Wir aus Vallia sind des Glaubens! Unsere Kinder wollen sich Gehör verschaffen. Wir dürfen ihren berechtigten Ehrgeiz nicht mißachten. Das Land ruft nach der Säuberung. Von allen Kontinenten und Inseln Paz' sind Unterdrücker herbeigeströmt. Wir haben sie bekämpft. Wir haben sie aus Vondium, der stolzen Stadt, und aus vielen Provinzen vertrieben.«
Auf einem Obelisken oder oben an einer Treppe oder auf einem blumengeschmückten Balkon stehend, sagte ich immer wieder die gleichen Worte – oder beinahe die gleichen. Ich sagte dem Volk, daß wir schon einen weiten Weg miteinander zurückgelegt hatten, daß das Ziel aber noch immer weit wäre.
»Die eisernen Legionen Hamals sind über uns hergefallen. Die Sklavenhändler, die Aragorn, haben uns enge Verwandte entrissen, unsere Väter und Mütter, unsere Ehemänner und Frauen, unsere Kinder, Brüder und Schwestern, sie haben sie fortgebracht, um sie in Ketten zu versklaven. Am Himmel über uns kreisen die Flutsmänner und plündern und töten. Die Masichieri marschieren und tragen nur den Gedanken an Beute und Zerstörung im Herzen – nein! Nein, meine Freunde. Ich irre mich! Diese Masichieri, all der übrige Abschaum – all diese Wesen haben gar keine Herzen, wie sie in der menschlichen Brust schlagen!«
Solche Äußerungen quittierten mir die Zuhörer mit tobendem Gebrüll, denn sie wußten um die Tragödien, die wir durchgemacht hatten, sie wußten, daß wir Vallia wieder ins Licht Opaz' führen mußten.
Während ich mit meinen Worten gewissermaßen offene Türen einrannte, beschäftigte mich zugleich die Sorge, daß nach unseren Erfolgen die Notwendigkeit des Kampfes dem einfachen Mann vielleicht nicht mehr so eingehen würde.
Immerhin lagen inzwischen viele Meilen zwischen den verhaßten Feinden und den Vondianern. Trotz der Ruinen, die uns ringsum an die jüngste Vergangenheit erinnerten, konnte man doch schnell auf den Gedanken kommen, daß der Sieg schon errungen war. Das Dröhnen der Kriegstrommel schallte nur noch ganz leise aus der Ferne. Und doch blieb Vondium im Herzen Vallias. Erforderlich war nichts anderes als völlige Hingabe an
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