Sagen aus Franken
setzte sich dann zum Essen. Nach einer Viertelstunde wollte er an die Arbeit gehen; da saß am gleichen Fleck wieder eine Fliege! Ärgerlich schlug er noch einmal danach, um sie zu verscheuchen. Sie blieb aber hartnäckig sitzen. Da sah er näher hin und merkte den Scherz. Da rief er aus: »Da muß der Dürer hier gewesen sein! Meine hiesigen Malerfreunde hätten mich nicht so täuschen können!«
Die Leidensstationen von St. Johannis
Vom Johannisfriedhof bis zum Tiergärtnertor führt eine gerade Straße. Sie heißt heute die Burgschmiedstraße. Dieser Weg führte in alter Zeit über freies Land, denn Häuser gab es damals vor den Mauern der Stadt nur ganz wenige.
Heute freilich ist die Gegend dort bebaut. Wer in die Straße zum St. Johannisfriedhof hinunterwandert, sieht auf der rechten Seite alle paar hundert Meter in die Hausmauern eingelassen, schöne Bildwerke aus Stein gehauen, auf denen von der Hand eines großen Künstlers (Adam Kraft) das Leiden des Herrn Christus in Stationen abgebildet ist. Auf jedem Stein steht unten dran in römischen Buchstaben und in römischen Ziffern, so daß es nur schwer zu lesen ist, wie weit das Geschehnis, das auf dem Stein abgebildet ist, vom Pilatushaus entfernt war. Als Pilatushaus zeigt man ein großes, festes Gebäude innerhalb des Tiergärtnertor, an dessen Ecke ein grser gepanzerter Ritter zu sehen ist.
Es war einmal ein Nürnberger Kaufmann, der in seinem Leben viel Geld und viel Ehren gesammelt hatte. Er wollte seinen Reichturn für eine fromme Stiftung verwenden und wollte auf dem Weg zum Johannisfriedhof Leidensstationen des Herrn Christus aufrichten lassen. Aber es lag ihm daran, daß die Bildwerke genau an die richtigen Stellen kamen. So ist er ins heilige Land gefahren, hat dort Golgatha und das Haus des Pilatus und den Weg sich zeigen lassen und hat nach den Nachrichten genau abgemessen, wo und in weichem Abstand vom Pilatushaus jedesmal die traurigen Geschichten geschehen sind. Er schrieb sich die Zahlen seiner Schritte genau auf und verpackte alles, so gut er konnte.
Auf der Rückfahrt aber kam ein Sturm. Das Schiff wurde hin und her geworfen und das Gepäck, das auf Deck aufgestapelt war, rollte über den Schiffsrand ins Wasser. Als Martin Ketzel, so hieß der reiche Mann, nach Nürnberg zurückkam, war er traurig; denn der eigentliche Zweck, weswegen er nach Jerusalem gereist war, war nicht erreicht. Drum beschloß er bald darauf, noch einmal ins heilige Land zu fahren. Er maß die Strecken noch einmal ab und schrieb alles genau auf. Und diesmal kam er gut mit allem nach Nürnberg. Deshalb kann man heute auf den Steinbildern die genauen Entfernungen vom Pilatushaus lesen, die Martin Ketzel, der reiche, fromme Nürnberger Kaufmann, mit seinen eigenen Schritten gemessen hat.
Die Schützenliesel
Die Schützenliesel war eine wohlbekannte Gestalt in Nürnberg noch um das Jahr 1820. Undenkbar war es dem Bürger, daß Weihnachten kommen konnte, ohne daß auf dem Kindlesmarkt die Schützenliesel ihren Stand am Krebsstock aufgeschlagen hätte.. Schon mehrere Wochen zuvor sah man die Alte dort hinter einem weiß gedeckten Tischlein sitzen, worauf in Reih und Glied ein ganzes Heer von selbstgefertigten Zwetschgenmännern stand; alle überragte ein großer Zwetschgenmann, der stets in der Mitte paradierte und einen französischen Soldaten in voller Armatur vorstellte. Den aber verkaufte die Liesl nie, er wurde allabendlich eingepackt, um am anderen Morgen wieder dort zu stehen. So blieb die Liesl auch ihrer Tracht getreu. Noch im hohen Alter sah man sie, selbst bei grimmiger Kälte, mit ihrer weißen, immer frisch gestärkten Rassapasserihaube sitzen. Trat ein Käufer an ihren Stand, der gewillt war, sie erzählen zu hören, was gar nicht selten geschah, so durfte er nur fragen was der große Zwetschgenmann koste. Da fing die Liesl unter Weinen und Schluchzen an, ihre Lebensgeschichte zu erzählen auf eine wunderliche Weise, mit vielen französischen Brocken vermischt. Gewöhnlich war die Einleitung: »Nix, nix, mon mesiö Mon Scherschang! Mon ami! Den verkaf i niet – 0, mon dieu! 0, mon dieu, man pauvre ami Scherschang!« – Nun, diese, der armen Schützenliesel Lebensgeschichte ist es, die ich erzählen will. Die ganze Jakobiterei stand bei den Nürnbergern in nicht besonders gutem Ansehen; das Handwerk der Pauterles, Bahknupfmacher und Hornpresser, die dort hinter der Mauer ihre Werkstätten hatten, roch man ganze Straßen weit. Das Übelste im Viertel, der
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