Sagen und Märchen Altindiens
Schatschis Willigkeit und das seinem Stolze schmeichelnde Verlangen. Er suchte die heiligen Seher auf und spannte sie an seinen Streitwagen: Zwei an jede Seite und drei an die Stange.
Indessen halte Brihaspati ein stilles Opfer zur Auffindung Indras gerüstet. Der Agni der Opferflamme durchstreifte im Fluge die ganze Welt, doch fand er seinen Herrn und Freund nicht auf der festen Erde, noch in der blauen Luft. Unter Brihaspatis kräftigen Zaubersprüchen fuhr er in das gefürchtete Wasser und sah hier Indra in der Lotosblüte verborgen.
Rasch rief er alle Götter herbei.
Und als die Herrlichen reinen Herzens des gewaltigen Writratöters Kriegstaten und seine weise Friedensherrschaft priesen, da wuchs der in Sünde und Reue klein gewordene Indra und stand plötzlich in seiner alten Stärke unter ihnen.
Nun erzählten die Frohen ihm von Nahuschas schlechter Herrschaft und baten den mächtigen Donnerer, den Unwürdigen vom Thron der Welt zu stürzen und sie wieder, wie einst, zu beherrschen.
Doch Indra schüttelte das Haupt:
»Woher nähm' ich die Kraft, den Nahuscha zu stürzen? – Ich, der unter der Sünde des Eidbruches seufzt, ihn, den die Gnade der Heiligen trägt!«
Und schweigend schritten die Götter alle zum Himmel.
Dort hatte Nahuscha indessen sein seltsames Gespann gegen Brihaspatis Haus gelenkt, um die heißbegehrte Braut im Triumphe abzuholen.
Dem ungeduldigen Verliebten zogen die Ehrwürdigen zu langsam des Weges.
»Schleicht nicht so!« rief er zornig und spornte den heiligen Agastya mit der Ferse.
Da war das Maß des Frevels voll, und die Macht des zum Weltherrscher erhobenen Menschen gebrochen!
Die Heiligen hielten an, und auf Agastyas Fluch: »So schleiche du durch die Ewigkeit!« stürzte Nahuscha als Schlange vom Wagen. Heute noch steht am Himmel das Sternbild: die sieben leuchtenden Heiligen an den Wagen gespannt, und daneben die stürzende Schlange!
Indra aber ward im Himmel mit lautem Jubel empfangen.
In einem sühnenden Roßopfer wälzten die Heiligen die schreckliche Schuld von seinem Herzen und verteilten ihr Wesen in der ganzen Schöpfung: Die Berge nahmen ein Drittel auf sich und bekamen davon die Schrunden und Risse: die Bäume tragen das zweite Drittel und schwitzen Harz unter der schweren Last; die Frauen büßen das letzte in stets wiederkehrender Schwäche.
Indra aber ward rein und thront wieder mächtig über der Dreiwelt, an der Seite seiner getreuen Schatschi.
Der Fluch der Schlangenmutter
Die Schwestern Kadru und Winata waren Gattinnen des Schöpfers Kaschjapa. Kadru brachte tausend und abertausend Kinder zur Welt. Sie war die Mutter aller Schlangen und liebte ihre klugen und zierlichen Sprößlinge voll Stolz und Freude.
Winata sah voll Neid auf die Scharen blühender Kinder und erflehte vom Schöpfer einen Nachwuchs, weit mächtiger als das Schlangengeschlecht der Schwester.
Sie gebar den Aruna und den Garuda.
Aruna, ein schöner Knabe, war ohne Beine zur Welt gekommen. Der Sonnengott nahm ihn als Wagenlenker, und morgens und abends sieht man den Herrlichen das rote Siebengespann leiten, das im goldenen Joch den perlengeschmückten Wagen Suryas durch den Äther zieht.
Garuda war der Fürst der Geier, ein furchtbarer Feind seiner schleichenden Vettern. Stark war er und weitflügelig, der größte Vogel der Welt! Dem erhabenen Gott Wischnu diente Garuda als Reittier oder er saß in der Dämonenschlacht auf dem Bannerschaft seines Streitwagens. Voll Stolz strich er durch den Weltenraum und deuchte sich selbst dem Götterkönig an Kraft gewachsen. Als Indra einst den Schlangenprinzen Sumucha, den Eidam seines Wagenlenkers Matali, vor Garuda beschützte, stritt der stolze Vogel mit dem Herrn der Welt und prahlte mit seiner grimmigen Stärke. Lächelnd legte Indra dem Zornigen seine Linke auf die Schulter, daß diesem schier der Flügel brach unter der Last der Faust, die einst die Erde befestigt hatte. Kleinlaut bat der Wischnuvogel, ihn zu schonen, und spottend warf Inra ihm Sumuchas abgestreifte Haut um den nackten Hals.
Durch alle Zeiten trägt Garudas Volk diese Krause, als Zeichen der schmählichen Prahlsucht seines Ahnherrn.
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Kadru und Winata waren voll Eifersucht gegeneinander, denn jede war stolz auf ihre Kinder und sah in ihnen die Krone der Schöpfung.
Einst gerieten die beiden in Streit über die Farbe des Götterrosses Utschaisrawa: schwarz! sagte Kadru; weiß! Winata.
»Wir wollen um die Freiheit wetten!« schlug Kadru vor, denn sie hatte einen
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