Sagen und Märchen Altindiens
Schritte!«
Nala sprang durch Feuer und Rauch, und als er in frischer Luft hielt, rief er: »Zehn!«
Da schlug Karkotaka seine Zähne in Nalas Daumen, fuhr aus seiner Haut und erschien vor dem Nischader in seiner Gestalt als Schlangenkönig: ein goldschimmernder Schlangenleib mit einem Menschenhaupt!
Nala aber fühlte einen Ruck durch seinen Leib gehen, und als er an sich hinuntersah, merkte er, daß ihn das Schlangengift in eine Mißgestalt verwandelt hatte.
»Edler Nischader!« sprach Karkotaka, »verschwunden ist die Gestalt, die dir zum Abscheu geworden war und die alle als die des Königs Nala kannten. Darum und um Kali durch das ätzende Gift zu peinigen, mußte ich dich beißen. Der Spielteufel hat ohne dein Wissen in dir Wohnung genommen. Dich wird mein Gift nicht quälen, denn du bist von heut' an der beste Freund des Schlangenvolkes und seines dankbaren Königs. Den Bösen aber wollen wir aus dir treiben und ihn bestrafen. Dazu mußt du den Zahlenzauber erwerben, denn der gibt Macht über alle Spielteufel, Rituparna, der König der Kosaler, kennt den Zauber. Gehe nach Ajodhia und verdinge dich ihm als Fuhrmann. Deine Kunst, die Rosse zu lenken und sie hundert Meilen in einem Tage zu treiben, wird dir bald Gelegenheit bieten, deinem Herrn einen wichtigen Dienst zu leisten. Dann biete ihm deine Kunst im Rosselenken gegen den Zahlenzauber. Hast du den Zauber, so beherrschest du Kali und wirst Reich und Glück wiedererwerben. Willst du wieder in deiner alten Gestalt einhergehen, so ziehe dieses mein abgestreiftes Kleid über den Daumen, und du bist wieder Nala, der Makellose, vor aller Welt.«
Damit verschwand der Schlangenkönig, und Nala, oder Vahuka , wie er sich in Knechtsgestalt nennen wollte, schlug den Weg nach Ajodhia ein und kam nach zehn Tagen zum Kosalerkönig Rituparna. Dem verdingte er sich als Stallknecht unter dem Wagenlenker Warschneja.
Bhima hatte seine beiden Enkelkinder gut aufgenommen und harrte nun schon lange des landlosen Königs und seiner treuen Gattin. Da sie sich nicht in Kundina einfanden, sandte er viele Brahmanen aus, um sie zu suchen.
Die Brahmanen zogen oft als geistliche Sänger und Lehrer von Stadt zu Stadt, von Hof zu Hof, durch alle Lande. Da mochte wohl einer Gelegenheit haben, die Ersehnten zu finden.
Der Großkönig versprach reichen Lohn an Vieh und Land dem, der die Flüchtigen brächte oder doch wenigstens ihren Aufenthalt erkunden könnte.
Die geweihten Boten Bhimas durchzogen viele Länder, aber alle mußten unverrichteter Dinge wieder heimkehren, bis auf Sudeva, den sein Weg nach Tschedi geführt hatte.
Als er dort einer Feier im Palast des Königs beiwohnte, sprach ihn eine tief verhüllte Gestalt an und fragte nach König Nala. Es war Damayanti, die bei allen Fahrenden nach ihrem unglücklichen Gatten zu forschen pflegte. Bei dieser Frage erkannte Sudeva die Tochter seines Herrn an Haltung und Stimme und grüßte sie im Namen ihrer Eltern und Kinder. Weinend fragte Damayanti, wie es allen ergehe, ob die Kinder gewachsen seien, und was eine Mutter wohl sonst noch wissen will.
Als die Königin-Mutter hinzutrat, mußte Sudeva erzählen, wer Damayanti sei, und da erkannte ihre Beschüizerin sie als das Kind ihrer fernen Schwester.
Nun wollte sie der lieben Verwandten würdigere Gastfreundschaft bieten, doch Damayanti dankte ihr für die viele Liebe, die sie schon als Unbekannte bei ihr gefunden hatte, und da Sudevas Grüße die Sehnsucht nach den Ihrigen wachgerufen hatten, bat sie um Reisegelegenheit nach Kundina.
Unter Tränen der Liebe nahmen die königlichen Frauen Abschied von Damayanti und ließen sie in einer Sänfte unter sicherem Schutz nach Kundina bringen.
Dort herrschte große Freude über die Wiedergefundene, und Bhima schenkte dem glücklichen Sudeva tausend Rinder und ein großes Dorf mit fruchtbaren Äckern und weiten Wiesengründen.
Am Tage nach ihrer Ankunft aber sagte Damayanti ihren Eltern, daß sie nicht leben könne ohne Nala!
Da rief Bhima wieder die Brahmanen zusammen, um sie noch einmal auf die Suche zu senden.
Und Damayanti lehrte sie das
Lied ihrer schlaflosen Nächte:
Wo weilst, beseßner Spieler, du
Mit meinem halben Kleide?
Bring' der im Wald Verlaßnen Ruh'
In tiefstem Herzeleide!
Oh, mögen Götter, treu verehrt,
Dein Schweifen heimwärts lenken,
Zu der, die Glück und Gram verzehrt,
In ew'gem Deingedenken!
»Dieses singet«, sprach sie zu den Gottgeweihten, »in allen Städten und Weilern, an Häfen und auf Märkten
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