Sagen und Märchen Altindiens
und wo sonst das Volk zusammenläuft! Und wenn euch einer auch nur ein rechtes Wort darauf erwidert, so merket seine Rede gut und hinterbringt sie mir eilig! Aber verratet nicht, daß ihr von mir gesandt seid! Die Götter mögen euer Wandern segnen!«
Nach vielen Monden ließ sich der Weihbrahmane Parnada vor Damayanti führen und berichtete also:
»An allen Orten habe ich dein Lied vergeblich gesungen. Auch zu Ajodhia, als ich in des Königs Halle sang, blieb ich ohne Antwort. Doch als ich gehen wollte, hielt mich im Dunkeln des Hofes eine Mißgestalt an und sang mit ergreifenden Tönen:
Zürne nicht! Du Herzenstreue,
Paar' nicht Fluch der tiefsten Reue!
Narr hat seinem Glück vertraut,
Weil's für ewig schien gebaut.
Schwert verloren – Ehr' verloren!
Steht im Schicksalsbuch des Toren.
Neid raubt ihm das letzte Kleid
Und den letzten Trost das Leid!
Mit Tränen im Auge schlich der Sänger hinweg und verschwand in des Königs Marstall.
Ich aber forschte bei den Leuten im Hause, wer der mißgestaltete Sänger sei.
Da hörte ich, es sei ein Knecht des Königs, namens Vahuka, der sich sehr gut aufs Fahren verstünde und auch treffliche Speisen bereitete. Er hält sich fern von allen Leuten und scheint schweren Kummer zu haben, von dem er des Nachts öfter singt.«
»Oh, Nala ist's, mein makelloser Held, den der Böse nun auch noch mißgestaltet hat!« rief Damayanti weinend und entließ den Brahmanen mit reichen Geschenken.
In heimlicher Beratung mit der Mutter hatte Damayanti eine List erdacht, um den mißgestalteten Sänger nach Kundina zu locken und zu prüfen, ob er König Nala sei.
Sudeva, der gute Brahmane, welcher sie selbst nach Hause gebracht hatte, sollte nun nach Ajodhia reisen und dort vor König Rituparna, wie zufällig, erwähnen, daß Damayanti am anderen Tage eine neue Gattenwahl halte, weil Nala wohl tot sei. Nur König Nala könne die hundert Meilen von dorther in einem Tage fahren. Wenn also Vahuka den Kosalerkönig rechtzeitig nach Kundina bringe, so spräche schon vieles dafür, daß König Nala sich in dieser Mißgestalt verberge. Andere Beweise würden sich dann wohl noch finden lassen.
So reiste denn Sudeva ab.
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Und Rituparna wollte auch wirklich nicht fehlen, wenn die holde Bhimatochter Gattenwahl hielt.
Warschneja getraute sich nicht, die große Wegstrecke in so kurzer Zeit zu bewältigen, doch Vahuka setzte sein Leben zum Pfand, daß er den König noch rechtzeitig nach Kundina bringen würde. Die Botschaft Sudevas, den er kannte, hatte ihn zuerst niedergeschmettert, aber als er der endlosen Liebe seines Weibes gedachte, verstand er die List und bot dem König seinen Dienst an.
Vier unscheinbare, aber edle Rosse wählte er im Stall, die jedes die zehn Haarwirbel als Zeichen ihrer Schnelligkeit trugen. Der König zweifelte an ihrer Güte, aber Vahuka forderte volles Vertrauen, wenn die schnelle Fahrt gelingen sollte, und so bestieg Rituparna mit Warschneja hinter dem Kühnen den Wagen.
Fort ging's in wirbelnder Schnelle an Häusern und Bäumen vorbei!
Als Warschneja sah, wie Vahuka seine Rosse lenkte, da kamen ihm allerlei Gedanken:
»Der fährt ja wie Matali, der Wagenlenker Indras, oder wie Waju, der wehende Wind ... doch nein! – 's ist König Nala, wie er die Zügel führt! – aber die Mißgestalt? Ob ihm die Götter zürnen? – die haben schon manchen verwandelt!«
So dachte der Wackere hin und her und schwieg in Erwartung einer kommenden Lösung.
Auch Rituparna freute sich über Vahukas Kunst, denn er war ein Freund aller kriegerischen Übungen. Als ihm der Fahrtwind den Mantel entriß, wollte er halten lassen, um ihn aufzuheben.
»Laß ihn!« lachte Vahuka, »der liegt schon eine Meile hinter uns!« Die kühne Fahrt hatte auch ihn freudig gestimmt.
»Herrlich fährst du, Vahuka!« sprach der König, »und ich möchte die Kunst wohl von dir lernen. Sieh: ich habe ein anderes Wissen: den Zahlenzauber! den möchte ich dir dafür geben. Dort, der Eckernbaum, hat am untersten Ast zweihundertundsieben Eckern und eintausendsiebenhundertdreiunddreißig Blätter. Das sagt mir mein Wissen!«
Jäh hielt Vahuka sein Gespann an und sprang vom Wagen.
»Wir werden zu spät kommen!« rief ängstlich der König.
»Ich bringe die versäumte Zeit wieder ein,« sprach Vahuka, »doch deinen Zauber will ich prüfen.«
Und er zählte Blätter und Früchte genau und fand alles so, wie es der König angegeben hatte.
Vahuka staunte über das geheimnisvolle Wissen des Königs und
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