Sagen und Märchen Altindiens
eines schilfumwachsenen Flusses, einen langen Zug von Menschen auf Elefanten und Kamelen, zu Roß und zu Wagen.
Als die Leute Damayanti erblickten, schrien sie durcheinander und wußten nicht, was sie aus ihr machen sollten.
Sie sah auch aus wie eine Tolle: schmutzig, von Dornen zerkratzt, bleich, mit wirrem Haar und den glänzenden, großen Augen, nichts am Leibe als den halben, zerrissenen Mantel.
»Ach! wer bist du?« »Seht, eine Hexe!« »Bist du eine Elfin oder die Flußnixe?« »Oh, dafür ist sie zu schmutzig!« »Aber seht nur die Schönheit unter dem Schmutz!« so rief es durcheinander, bis die Kaufleute, denen der Warenzug gehörte, in ihrem Elefantenturm daherkamen.
Denen erzählte Damayanti ihre Geschichte, und sie erlaubten ihr, sich anzuschließen. Sie wollten nach Tschedi, einer großen Stadt am Rande des wilden Waldes.
So zog Damayanti mit der Karawane, still und zufrieden auf die Worte des greisen Sehers hoffend.
Aber das Maß ihres Leidens war noch nicht voll.
Einen halben Tagmarsch vor Tschedi hielt die Karawane an einem großen Weiher Nachtrast. Als alles schlief, kam eine Herde wilder Elefanten zur Tränke. Sie witterten die zahmen Brüder und stürzten sich kampflustig auf sie, alles zermalmend, was ihnen im Weg war: Mensch und Tier, Zelt und Wagen.
Wilder Schrecken erfaßte alle, die am Leben blieben und das Stampfen und Trompeten der Rüsselträger, das Ächzen der Sterbenden hörten. Zucht und Ordnung ward gelöst: hier liefen ein paar entsetzt ins Wasser, dort raubten andere Kostbarkeiten, die aus den zertrümmerten Kasten quollen, gaben auch wohl dem Verteidiger einen Messerstich und fielen im nächsten Augenblick unter dem Rüsselschlag eines Elefanten.
Damayanti saß zitternd im Strauchwerk und glaubte, alle Dämonen seien los.
Rasch, wie sie gekommen waren, liefen die Elefanten nach der Zerstörung wieder in den Wald.
Am Morgen sammelten sich die Wenigen, die noch lebten, und klagten laut über den Verlust an Freunden und Brüdern, an Geld und Gut. Hatte sich doch die Fahrt so gut angelassen, die Opfer richtig gebrannt, alle Vorzeichen Segen verheißen, und nun, kurz vor dem Ziel, dies schreckliche Ende.
»Das war die Tolle, die alles verhext hat!« flüsterten sie und warfen finstere Blicke auf Damayanti.
Und als sie nach Tschedi wanderten, wagte die Gramerfüllte ihnen nur von weitem zu folgen. Still weinend dachte die Gute, daß sie wohl wirklich in einem früheren Leben viel Böses begangen haben müsse, weil ihr Unglück sich über die ganze Karawane ausgedehnt habe.
Als sie gegen Abend todmüde nach Tschedi kam, liefen die Kinder auf der Straße zusammen und begleiteten diese traurige Königin in ihrem närrischen Kleid der Liebe unter Gespött und Geschrei bis vor den Palast der Königin-Mutter.
Diese sah vom Fenster den fröhlichen Aufzug und sandte nach seiner trauernden Führerin.
Damayanti klagte der edlen Fürstin ihr schreckliches Los, doch ohne sich zu erkennen zu geben, und bat die Gute, sie in ihren Dienst zu nehmen, bis die Götter sie wieder mit ihrem Gatten vereinten. Die Königin-Mutter sah durch all den Jammer das edle und schöne Weib und gab es ihrer Tochter zur Gespielin. Der ward die Leiderfahrene bald zur Freundin.
König Nala hatte sein Weib verlassen und wäre am liebsten vor sich selber geflohen. Er irrte durch den Wald, quälte sich mit Vorwürfen und schämte sich seines Tuns vor sich und der Welt. Wie im Traume bahnte er sich seinen Weg durchs dickste Dickicht, ohne Ziel und Zweck.
Mitten im Walde stieß er auf einen lodernden Ringwall von Flammen.
Daraus klang eine Stimme und rief: »Komm! König Nala! komm, erlöse mich!« und wieder: »Komm, König Nala! komm, erlöse mich!«
»Ich komme!« rief Nala und drang mutig durch Feuer und Rauch in den Ring.
Dort fand er eine große Schlange auf einem Steine zusammengerollt. Die sprach, demütig bittend, mit menschlicher Stimme:
»Wisse, edler König der Nischader, daß ich Karkolaka bin, ein König der Schlangen! Vor vielen Jahren habe ich einen Heiligen belogen, um eine meines Volkes vor gerechter Strafe zu schützen. Da verfluchte mich der Heilige und bannte mich in diesen Feuerring: bis König Nala mich befreit! – Schnell trage mich aus dem Feuer, und ich will dir den Weg weisen zu deiner Erlösung. Klug ist das Schlangenvolk! und ich bin sein Meister!« Darauf machte er sich klein, kaum spannenlang, und schlang sich um Nalas Daumen. »Nun laufe durch das Feuer und zähle deine
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