Sagen und Märchen Altindiens
die Beute abzujagen. Er sprang ins Haus, um seine Waffen zu holen. Doch wehe: auf der Schwelle saß Judhischthira in traulichem Kosen mil Draupadi. Ardschuna sließ an den königlichen Bruder – es kam zum Wortwechsel, der bei Ardschunas Eifer, dem bittenden Brahmanen rasch zu helfen, bald zum heftigen Streit ausartete und damit endete, daß der Hilfsbereite, mit scharfem Spott auf den verliebten König, seinen Bogen ergriff und den Kuhdieben in den Wald nachlief.
Nachdem er diese bestraft und dem ehrwürdigen Brahmanen sein Eigentum ins Haus gebracht hatte, trat er vor die Brüder und erklärte in die Verbannung ziehen zu wollen, da er in blindem Eifer Feindschaft ins Haus getragen halte. Vergeblich entbanden die Brüder den Bereuenden von der harten Verpflichtung, umsonst reichte der edle Judhischthira dem Bruder versöhnt die Hand und bat ihn zu bleiben; Ardschuna wollte an einem Gelöbnis nicht gedeutelt sehen und zog mil den freundlichsten Wünschen der Seinen in die Ferne.
An der Ganga besuchte er viele Wallfahrtsorte und badete dort nach religiösem Brauch in dem heiligen Strom. Da zog einst Ulupi, eine Schlangenprinzessin, den kühnen Schwimmer in die Tiefe und brachte den schönen Menschensohn in ihren Palast.
Oh! über die zauberhafte Pracht, auf die Ardschuna da stieß:
Auf schlanken Säulen aus Jaspis, die sich oben in köstlichem Schnitzwerk teilten und wieder wirr ineinander verschlangen, ruhte eine mächtige Kuppel aus einem einzigen Smaragd geschnitten. Die Wände schienen aus tausend und abertausend wasserhellen Kristallen geformt und funkelten in grüngoldnem Licht, daß ringsum alles zu leben schien. Dicke, weiche Teppiche waren gebreitet, und wo sie den Boden sehen ließen, da war Steinchen an Steinchen zu wunderbarem Bildwerk gefügt oder Perlen, Gold- und Silberküglein, wie Kies auf einen Gartenweg, gestreut. Liebliche Töne, die fernher zu klingen schienen, erfüllten den Raum und einten sich zu Weisen aus längstvergangenen Zeiten.
Weich schlangen sich die Arme der wunderschönen Prinzessin um Ardschunas Hals. Kosend wallte ihr reiches Haar über seine Haut. Es war ein Locken und Halten, ein Fühlen und Sehnen – Ardschuna blieb und nahm die Schlangenprinzessin zum Weib.
Ein Jahr schien dem Glücklichen vergangen, als Ulupi ihm ein schönes Knäblein schenkte, das sie Iravat nannte. Da gedachte Ardschuna der Seinen: Immer tiefer verlor er sich in Sinnen – leise, leise klangen die gewohnten Weisen wie Stromrauschen an sein Ohr – ein kühler Wind strich über seine Glieder, und Ardschuna erwachte. Im ersten Schimmer des Morgens sah er sich am Ufer der Ganga, neben seinen Kleidern und Waffen. Er lief ins Dorf und hörte dort, daß seit seinem Verschwinden nur eine Nacht vergangen sei.
Des schönen Erlebens froh zog er weiter und kam nach Manipura. Hier sah er die Tochter des Königs, die schöne Tschitrangadaa, und warb um sie in schnell erwachter Liebe. Doch der König gab ihm die Tochter erst zur Gattin, nachdem Ardschuna gelobt hatte, sie als Putrika von des Vaters Hand zu empfangen.
Die altindische Sitte hielt es für sündhaft, ein Geschlecht erlöschen zu lassen, denn Opfer und Gebet der Söhne und Enkel entsühnte die Verstorbenen, öffneten das Tor des Totenreiches und bereiteten einen Platz in Indras lichtem Himmel. Wo die Natur einen Sohn versagte, schuf Rechtsbrauch und Sitte vollwertigen Ersatz. Der König von Manipura hatte ein einziges Kind: die schöne Tschitrangadaa. Er hatte sie von seinem Hauspriester zur Putrika, das heißt Sohntochter, weihen lassen.
Eine Sohntochter durfte, ihrem Gatten nicht in sein Heim folgen. Sie blieb im Hause des Vaters, ihre Söhne brachten die Manenopfer für das Geschlecht der Mutter dar und setzten es in gerader Linie fort.
Unter solchen Bedingungen empfing Ardschuna seine Gattin vor dem heiligen Hausfeuer und lebte mit ihr drei Jahre in vollstem Glück zu Manipura. Dann gebar Tschirangadaa den Babruvahnna und der Vater ließ, getreu seinem Gelöbnis, Mutter und Kind beim König von Manipura und zog neuen Abenteuern entgegen.
Zu Naritirtha befreite er fünf Apsaras.
Diese losen Göttermädchen aus Indras und Varunas Gefolge störten gar gerne fromme Büßer in ihrer Andacht durch allerlei Possen, die sie den ehrwürdigen Einsiedlern spielten. Ein heißblütiges Opfer ihrer Scherze hatte sie verflucht, als Krokodile in den heiligen Weihern von Naritirtha zu leben, bis ein Starker sie mutig ans Land zöge.
Der tapfere Indrasohn
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