Sagen und Märchen Altindiens
sahen sie die Zeit nahen, da die Pandava wieder zu Macht und Ansehen gelangten.
Und eine heimliche Beratung zwischen Durjodhana, seinem wüsten Bruder Duchschasana, dem ränkevollen Oheim Schakuni und dem kampflüsternen Karna, den die wort- und waffenschnellen Pandusöhne, wie die stolze Draupadi, an seiner Ehre gekränkt hatten, brachte neue Pläne zum Verderben der Verbannten zutage:
So lebte zu jener Zeit ein sonderbarer Heiliger an Durjodhanas Hof, und den ersah der böswillige Duchschasana dazu aus, den Pandava Verderben zu bringen. Es war der heilige Durwasa.
Ein Leben voll strengster Kasteiung, tiefinnerster Buße und stoischer Schmerzerduldung hätte ihm längst den Weg zu Indras Himmel geebnet. Doch wie der Geizige über seinem Golde am liebsten verhungern möchte, so verzichtete Durwasa auf die Freuden des Himmels. Denn er sagte sich, daß diese auch den größten Schatz an Bußfertigkeit nach und nach aufzehren und damit seine Macht über Götter und Menschen vermindern müßten. Darum blieb er bei seiner asketischen Lebensweise und war gefürchtet von Göttern und Menschen, denn neben der Macht, die ihm die aufgehäufte Buße verlieh, konnte sich auch sein Jähzorn sehen lassen, der ihm die Flüche so locker machte, wie anderen Heiligen die Segenswünsche.
Durwasa hatte eine Schar von zehntausend Schülern um sich versammelt und lebte nun schon einige Wochen in Hastinapura. König Durjodhana hatte den Gefürchteten ehrerbietigst empfangen und, ganz liebedienerisch, selbst die Betreuung des unangenehmen Gastes übernommen. Durwasa war von der Unterwürfigkeit seines königlichen Wirtes entzückt und versprach, ihm beim Abschied eine Gnade zu bewilligen. Auf Rat des Duchschasana bat nun Durjodhana den abziehenden Heiligen, auch seinen ›vielgeliebten‹ Vetter Judhischthira in seiner Waldsiedelei mit einem längeren Besuch zu erfreuen.
Die Argen dachten, daß die armen Verbannten wohl nicht einmal den Hunger des Heiligen und seiner zehntausend Jünger stillen könnten, und hofften, daß dann ein kräftiger Fluch des Jähzornigen die Unglücklichen verderben würde. Doch es kam anders:
Draupadis kupferner Kessel, das Geschenk des gütigen Sonnengottes, erwies sich als unerschöpflich. Judhischthiras weise Reden über Recht und Pflicht erfreuten den frommen Brahmanen, sein Jähzorn wurde nicht geweckt, und mit freundlichen Segenswünschen für die Brüder und vielem Dank für die sorgende Hausfrau schied der Gefürchtete und seine Schar aus der Einsiedelei.
Nun schützte Durjodhana eine wichtige Regierungshandlung in der Gegend des Kamjakawaldes vor: eine Volks- und Viehzählung. Er begab sich in Begleitung Karnas, Schakunis und Duchschasanas dorthin, um die Pandava in ihrem Elend zu verhöhnen. Mochte ein Streit, ein Kampf darob entbrennen! Den Rechtlosen mußte das eher Verderben bringen, als dem König inmitten seines zahlreichen Gefolges!
Doch unterwegs gerieten sie, an der Jamuna, unter die himmlischen Spielleute, die dort auf blumigen Fluren die Apsaras neue Reigen lehrten. Durjodhana forderte von dem Führer der Gandharva die Huldigung, die ihm als König dieses Reiches gebührte. Tschitrasena, der Gandharvakönig, verweigerte sie, und es kam zu blutigem Kampf.
Die Gandharva besiegten Durjodharias Troß. Karnas Wagen ward zertrümmert, der Wehrlose mußte zu Fuß in den Wald flüchten. Durjodhana, Schakuni und Duchschasana wurden gefangen genommen.
Einige Flüchtlinge aus Durjodhanas Gefolge fanden die Siedelei der Pandava, beklagten das Schicksal ihres Herrn und baten die Verbannten um Hilfe.
Bhima jubelte zuerst, daß die bösen Vettern gefangen seien, doch als Judhischthira es für Pflicht erklärte, Schutzheischenden zu helfen, war er Feuer und Flamme und trieb zum Kampf gegen die Gandharva. Seiner unwiderstehlichen Kraft und Ardschunas göttlichen Waffen, sowie den schnellen Schwertern der Madrizwillinge, erlagen viele der Gandharva. Tschitrasena, der sich unsichtbar gemacht hatte, kämpfte mit seinem alten Freund Ardschuna und wurde besiegt. Da ließ er die Gefangenen bringen und lieferte sie den Siegern aus. Der edle Judischthira schenkte ihnen die Freiheit und entließ sie ungekränkt nach Hastinapura.
Plötzlich erschien Indra am Himmel mit einer goldenen Schale voll Amrita. Schweigend besprengte er die toten Gandharva. Die sprangen voll Leben auf und scharten sich um Tschitrasena. Der Gandharvafürst reichte Ardschuna die Hand und sagte: »Dies alles geschah auf des
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