Sagen und Maerchen aus Sachsen und Thueringen (Erweiterte Ausgabe)
Stimme, welche ihn warnte in der Sünde nicht weiter zu gehen: er seufzte wohl ein wenig, doch besserte er sich nicht. Drei Monden danach betete ein frommer Domherr, Friedrich geheißen, des Nachts im Chor der Mauritius Kirche daß Gott der Kirche einen bessern Vorsteher verleihen und Odo strafen möge. Und dieses Gebet wurde sogleich erhört.
Es erhob sich ein mächtiger Wind, der alle Lampen in der Kirche auswehte, so daß der Domherr erschrak, sich in einen Winkel verkroch und das Beten vergaß. Er sah nun wie zwei Knaben mit brennenden Wachslichtern in die Kirche kamen und vor den Altar traten, und die ganze Kirche war davon hell erleuchtet. Ihnen folgten zwei andere; von denen trug einer einen Teppich und breitete ihn vor dem Altar aus, der andere brachte zwei goldene Stühle und setzte sie auf den Teppich. Hierauf folgte Einer in Gestalt eines starken Kämpfers mit bloßem Schwerte in der Hand: der trat mitten in die Kirche und rief mit lauter Stimme »O alle ihr Heiligen, deren Gebeine allhier in dieser Kirche ruhen, stehet auf und kommet für Gottes Gericht .« Da erschienen viele Frauen und Männer, unter ihnen Bischöfe und Ritter, im Chor. Und nun traten die zwölf Apostel ein und in ihrer Mitte Christus mit Krone und Scepter, heller leuchtend als die Sonne. Alle Anwesenden fielen vor ihm nieder. Er setzte sich auf einen der beiden Stühle, und ihm folgte Maria, gleich den Sternen stralend, mit einer großen Schaar Jungfrauen. Christus ging ihr entgegen, empfing sie mit aller Reverenz und Ehrerbietung und führte sie zu dem andern Stuhl. Zuletzt erschien auch der heilige Mauritius in fürstlicher Gestalt und mit ihm seine Legion, und Alle fielen vor Christo nieder und riefen ihn um Recht an. Da gebot Christus den Bischof Odo zu holen; und als dieser gebracht wurde, trat der heilige Mauritius vor, erinnerte ihn an Mariens Gnade, an die Stimme, die ihn dreimal gewarnt hatte, und klagte ihn dann seiner Verbrechen an. Christus, der Richter, fragte die umstehenden Heiligen weß sie dabei bedünke. Da rief der vorberührte Kämpfer überlaut, Odo sei des Todes schuldig. Nun besprach sich Christus mit Andern, welchen Tod er leiden solle, und er fällte das Urtheil, daß er das Haupt verlieren müsse. Hierauf ging Christus mit Maria und vielen der Versammelten hinweg; und der Kämpfer oder, wie Andre glauben, der heilige Mauritius selbst trat herzu und enthauptete den Bischof.
Am Morgen erzählte der Domherr was er gesehn hatte, und man fand Odo in der Kirche enthauptet. Vor dem Altar blieben die Blutflecken noch lange zu sehen. Sie waren gewöhnlich mit einem Teppich bedeckt; doch wenn man einen neuen Bischof einführte, hob man, während das Te Deum gesungen wurde, den Teppich auf und zeigte dem Bischofe das Blut, damit er sich an Odos Schicksal erinnere und besser als er haushalte. Odo soll in der Mitte des zehnten Jahrhunderts oder fünfzig Jahre später zur Zeit Kaiser Ottos III. gelebt haben.
44. Das Crucifix.
Binhard Newe vollkommene thüringische Chronica 2,164.
Im Jahre 1224 kam die heilige Elisabeth zur Neuenburg, badete und wusch einen Aussätzigen, der hieß Elias, im Abwesen des Landgrafen und legte ihn in ihr Bett. Wie nun der Landgraf nach Hause kam, nahm ihn seine Mutter bei der Hand, führte ihn zu dem Bett und sprach »Siehst du den dort liegen? Deine Frau hat einen Andern lieb .« Da hob der Landgraf die Decke auf; doch er fand nichts als ein Crucifix im Bett.
45. Die Teufelsspitze im salzigen See.
Mündlich aus Seeburg.
Ein Graf von Seeburg hatte einen Bund mit dem Teufel auf bestimmte Jahre. Der Teufel hatte ihm gelobt in dieser Zeit Alles zu thun, was er fordern werde; dagegen hatte ihm der Graf seine Seele versprochen. Der Graf that nun durch den Beistand des Teufels manches Wunder, und fuhr unter Anderm immer von Rollsdorf nach Wansleben und zurück mit seiner Kutsche quer über den salzigen See, und die Pferde näßten nur ihre Hufe im Wasser, und die Räder schnitten nur so tief ein, wie der eiserne Reif, der sie umschloß, breit war. Als aber der Vorabend des Tages kam, an welchem der Graf dem Teufel gehören sollte, sann er auf ein recht schweres Stück, welches der Teufel nicht ausführen könnte. Er befahl ihm zwischen Mitternacht und dem ersten Hahnenschrei einen Damm durch den See von Rollsdorf nach Wansleben zu bauen, damit die Leute künftig nicht immer den weiten Umweg rings um den See zu fahren brauchten. Der Teufel eilte auf eine
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