Sagrada: Mystery-Thriller (German Edition)
deren Spitze ein König namens Arthur oder Artus stand. Wie schon gesagt war der Heilige Kelch verschwunden, doch an einem Pfingstabend tauchte er von einem Tuch bedeckt und von hellem Lichtschein umgeben vor den Rittern der Tafelrunde wieder auf. Bald schon aber verschwand er erneut, und die Ritter schworen, dass sie unter Einsatz ihres Lebens danach suchen würden.«
»Wie kann man nach dem Gral suchen, wenn er lediglich ein Symbol ist?«, wandte Munárriz ein.
»Auf spirituellem Wege«, beschied ihn Hochwürden Ramírez und setzte seinen Vortrag fort. »Von diesem Augenblick an wird die Sage noch unübersichtlicher. Die Ritter mussten eine Reihe von Proben bestehen. So stand Lancelot kurz davor, den Gral zu erlangen, scheiterte aber wegen seiner ehebrecherischen Beziehung zu König Artus’ Gattin Ginevra. Ein anderer Ritter, Gawain, ein Neffe des Königs, gelangte ganz in die Nähe des Grals, doch auch ihm war der Erfolg nicht vergönnt, weil er den irdischen Dingen zu sehr verhaftet war. In manchen Fassungen heißt es, dass überhaupt nur drei Ritter den Gral gefunden haben: Galahad, Sohn Lancelots und Elaines – sie war die Tochter des Fischerkönigs, der den Tod fand, als er ins Innere des heiligen Gefäßes blickte -, Bohurt, der Einzige, der aus Camelot zurückkehrte, um über seine Taten zu berichten, sowie Parzival. Dieser wegen seiner Unschuld auch ›heiliger Tor‹ genannte Ritter zog nach einem ersten fehlgeschlagenen Versuch fünf Jahre lang allein durch die Lande, bis er erneut den Weg fand, der zur Burg des wunden Königs Amfortas führte, wo es ihm gelang, ihn zu heilen, indem er die in der Gralsgeschichte entscheidende Schlüsselfrage stellte: ›Wem dient der Kelch?‹«
»Dann handelt es sich also doch nicht um ein Symbol, sondern um einen wirklichen Gegenstand«, wandte Munárriz ein.
»Für mich ist der Gral lediglich ein Symbol.«
»Wofür steht er?«
»Kurz gesagt für die Jungfrau Maria, denn in ihrem Schoß hat sich der göttliche Geist in sterbliches Fleisch verwandelt. In der Queste del Saint Graal findet sich eine klare Anspielung auf die Messe der Mutter Gottes, als Galahad mit dem Kelch auf der mythischen Insel Sarras eintrifft, und in Perlesvaus wie auch in La Morte d’Arthur finden sich konkrete Hinweise auf die Messe Unserer Lieben Frau. Es geht aber noch weiter«, setzte der Priester voll Überzeugung fort. »In dem mit Sicherheit in Glastonbury verfassten Werk Perlesvaus heißt es, dass Maria die Messe feierte und ihren Sohn als lebendes Opfer darbot. Die Gralshüter verehrten in ihr als Mutter des Fleisch gewordenen Gottes das vas electum , also das ›auserwählte Gefäß‹. Das ist der einzige und wahre Gral.«
»Was Sie da über die Gottesmutter berichten, ist aber ziemlich unbekannt.«
»Da haben Sie recht«, räumte der Priester ein, »und das lässt sich auch leicht verstehen. Schließlich würde eine Anerkennung der Jungfrau Maria als Offiziantin der Messe mit einem Schlag alle gegen das Frauenpriestertum vorgetragenen Argumente entwerten.«
»Ach so.«
»Die aus dem Mittelalter stammende und nach dem italienischen Wallfahrtsort Loreto benannte Lauretanische Litanei «, fuhr Hochwürden Ramírez fort, »nennt die Jungfrau Maria vas spirituale , also ›geistliches Gefäß‹, vas honorabile , ›verehrungswürdiges Gefäß‹ und vas insigne devotionis , ›Gefäß höchster Verehrung‹. Maria hat sich also gleichsam in den Kelch verwandelt, in einen lebenden Gral, das Gefäß, welches das göttliche Kind enthielt. Die Troubadoure nannten sie im Zusammenhang mit ihrer ›höfischen Liebe‹ oder ›hohen Minne‹ den ›Gral der Welt‹. Darin muss man ein rein alchemistisches Bild sehen, bei dem sich Maria in das hermetische Gefäß verwandelt, in dem die Quintessenz erzeugt wird, die Geburt des göttlichen Kindes Mercurium , also Quecksilber.«
»Diese Darlegungen kann ich nachvollziehen«, erklärte Munárriz.
»In einer alchemistischen Allegorie heißt es › In mercurio est quidquid quaerunt sapientes ‹, also: Im Quecksilber findet sich alles, was die Weisen suchen. Als Zwitterstoff, denn es ist eine Flüssigkeit und zugleich ein Metall, wurde das Quecksilber von den Alchemisten als Vorstufe zum ›Stein der Weisen‹ dem Planeten Merkur zugeordnet und in ihren Schriften als Kind dargestellt, weil man angeblich darin alles fand, was man begehrte. Selbstverständlich«, fügte er rasch hinzu, um Missverständnissen vorzubeugen, »steht das
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