Sagrada: Mystery-Thriller (German Edition)
Citroën sehr viel souveräner meisterte, als es sein moderner Peugeot gekonnt hätte. Während eine Schar Blauelstern in einem Gebüsch lärmte, ließen mehrere auf hohen Ästen sitzende Eisvögel die Blätter der Seerosen auf dem zur Linken liegenden Wasser des Río Lobos nicht aus den Augen; vermutlich hatten sie es auf die sich darunter verborgen haltenden Rotaugen abgesehen.
Vor einer quer über den Weg gespannten Eisenkette hielt der Priester an und gab Munárriz den Schlüssel für das Vorhängeschloss. Man hatte den Weg gesperrt, um zu verhindern, dass Touristen an Wochenenden mit ihren Motorfahrzeugen dort herumlärmten. Nach und nach drangen sie, eine dichte Staubschleppe hinter sich herziehend, in den engsten Teil der Schlucht vor. In den hohen Felswänden befanden sich überall dort, wo weiße Flecken von den Ausscheidungen der Vögel das Gestein bedeckten, Nester von Gänsegeiern. Auf einer der Kapelle und einer großen Höhle vorgelagerten riesigen Fläche, die das Wasser des Río Lobos freigewaschen hatte, stellte der Priester den Wagen ab.
»Weiter geht es nicht«, rief er aus, während er die Handbremse anzog.
»Hier ist es herrlich.«
»Folgen Sie mir. Hoffentlich wissen Sie noch, worüber wir uns beim Essen unterhalten haben!«, sagte der Priester mit selbstzufriedenem Lächeln. »Das werden Sie jetzt brauchen.«
Mit diesen Worten überquerte er eine kleine Holzbrücke, die über den Fluss führte, und blieb vor dem Haupteingang der Kapelle stehen. Es war so still, dass man die Vögel und das Rauschen des Wassers hören konnte. Die Umrisse der am Himmel kreisenden Gänsegeier wirkten wie Geistererscheinungen.
»Nun«, begann der Priester, »das also ist die Wallfahrtskapelle San Bartolomé, letzter Überrest eines Templerklosters aus dem 12. Jahrhundert. Die in manche Steine eingehauenen Steinmetzzeichen lassen vermuten, dass die Männer, die sie errichtet haben, aus dem Südwesten Frankreichs gekommen sind.«
»Ich muss gestehen«, sagte Munárriz, von der Schönheit der Umgebung überwältigt, »dass mich dieser Ort sogar schon beeindruckt, wenn ich ihn lediglich mit den Augen des Touristen betrachte.«
»Das hatte ich Ihnen ja gleich gesagt.«
»Kennt man den Namen des früheren Klosters, zu dem die Kapelle gehörte?«
»Manche Historiker erklären, es handele sich um das im Jahre 1070 aufgrund einer Bulle Papst Alexanders III. errichtete Kloster des Heiligen Johannes von Otero, andere wiederum siedeln es in etwas größerer Entfernung an, in Tozalmoro, Mazalvete oder Peroniel del Campo.«
»Und wo findet sich hier die doppelte Auslegung?«
»Sie haben gut aufgepasst«, scherzte der Priester. »Die hermetische Symbollehre hat ihre eigentliche Heimat auf halbem Wege zwischen der östlichsten und der westlichsten Spitze der Iberischen Halbinsel, also Kap Creus und Kap Finisterre. Diese Kapelle hier wurde an einem tellurischen Punkt errichtet, einer Stelle, an der sich die Erdkräfte bündeln. Es ist einer der umbilici telluris , also einer der Mittelpunkte der Erde, die von den Templern mit dem Nabelkuss versinnbildlicht wurden. Wissen Sie noch? Der Nabel des Menschen ist die Mitte seines Leibes. Das ist der Grund für die Nabelschau, die den Yogis und Asketen der östlichen Lehren zur Versenkung in den Kosmos dient.« Aufmerksam folgte Munárriz diesen Erläuterungen.
»Es gibt noch weiter Hinweise«, fuhr der Priester fort. »Beispielsweise zeigen einige Pfeile und Dreiecke im südlichen Querschiff und am Nordeingang den Weg zu verschiedenen Orten. Am überraschendsten dürfte aber wohl sein, dass der ganze Bau in der Mitte eines um vierzig Grad gedrehten achtspitzigen Kreuzes steht, wobei die Verlängerung der Linien jeweils auf Templeransiedlungen von hermetischer Bedeutung verweist: beispielswiese Caravaca, wo sich im Jahre 1232 das Kreuzeswunder ereignete, oder Culla, eine überaus bedeutende Siedlung der Templer in ihrem Ordensgebiet Alto Maestrazgo …«
»Angenommen, Sie haben Recht«, setzte Munárriz an, dem es schwerfiel, all das zu glauben, »dann wäre diese Kapelle angesichts der hier gebündelten Kräfte der geeignete Ort für eine alchemistische Umwandlung. Oder nicht?«
»Eher für eine geistliche Umwandlung, denn sie liegt an einem der zahllosen Pilgerwege, die zum Grab des heiligen Jakobus in Santiago de Compostela führen. Ihr gegenüber sehen Sie die sogenannte Große Höhle«, fuhr er fort, um zu verdeutlichen, was er meinte. »Bedenken Sie, dass Höhlen bei
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