Sagrada: Mystery-Thriller (German Edition)
auf den ersten Serpentinen begann der 2 CV zu ruckeln und wurde langsamer. Mit einer ergebenen Handbewegung bat der Priester um Geduld. Abwärts ging es dann wieder mit den gewohnten siebzig Stundenkilometern. Auf die Kiefernwälder von Navaleno folgte San Leonardo de Yagüe in den Ausläufern der Gebirgsketten von Urbión und La Demanda. Hochwürden Ramírez machte einen Umweg über das Dörfchen Ucero, über dem die alte Burg der Bischöfe von Burgo de Osma mit ihrem trutzigen Bergfried thronte. Nach einer sehr scharfen Kurve hielt er auf einem Parkplatz an.
»Sind wir da?«
»Noch nicht ganz. Ich möchte Ihnen aber hier etwas zeigen.«
Sie stiegen aus. Rund um den Parkplatz erhoben sich steile Hänge, über denen Gänsegeier kreisten. Da sich die Kälte empfindlich bemerkbar machte, während Hochwürden Ramírez seinen Gast an die Brüstung einer steinernen Brücke führte, klappte Munárriz die Kapuze seines Dufflecoats hoch. Der Wind wehte so kräftig, dass dem Priester die Soutane um die Beine flatterte. Weit und breit war niemand zu sehen.
»Das ist die Brücke von Nacedero«, erklärte Ramírez mit lauter Stimme, um den Wind zu übertönen, »und da unten« – dabei wies er auf einen Tümpel – »entspringt der Ucero. Er mündet ein Stück weiter in den Río Lobos, der dieser Schlucht auch seinen Namen gibt.«
»Und wo steht die Wallfahrtskapelle?«
»Mitten in der Schlucht.« Ramírez wies mit dem Finger in die Richtung. »Ein paar Kilometer von hier.«
»Ein eindrucksvoller Ort.«
»Deswegen wollte ich Ihnen das hier zeigen.«
»Ich war immer der Ansicht«, sagte Munárriz, ohne den Blick von dem kristallklaren Wasser tief unter ihnen zu nehmen, »dass die Hauptaufgabe der Templer darin bestand, den Gral zu hüten. Ihren Erklärungen aber entnehme ich, dass es ihnen wohl eher darum ging, die Quintessenz zu erreichen, die Vereinigung der Gegensätze.«
»Es kommt ganz darauf an, was man unter dem Gral versteht.«
»Nun ja, den Kelch des letzten Abendmahls, mit dem Jesus Christus die Eucharistie gestiftet hat«, rief Munárriz aus, den diese Aussage verwunderte.
»Einen solchen Kelch hat es nie gegeben«, teilte ihm Hochwürden Ramírez entschieden mit. »Der Evangelist Markus berichtet, dass Christus mit seinen Jüngern das Abendmahl gefeiert hat, und sagt, dass dabei ein Becher oder Kelch verwendet wurde, doch im Johannes-Evangelium ist lediglich von einem Liebesmahl die Rede, das Jesus mit seinen Jüngern feierte und das an Ostern oder an seinen Tod gemahnen soll. Weder im Papyrus von Oxyrhinchos aus dem Jahre 148 noch im Thomas-Evangelium findet sich der geringste Hinweis auf eine Überlieferung, die sich aus dem letzten Abendmahl herleitet. Meiner Ansicht nach muss man den Gral als Symbol auffassen.«
»Soll das heißen, dass der Bericht über das Letzte Abendmahl eine Legende ist?«, erkundigte sich Munárriz überrascht.
»So sieht es aus. In der Didache , der sogenannten Apostellehre aus der ersten Hälfte des zweiten Jahrhunderts, die im Grunde nichts anderes ist als die älteste urchristliche Gemeindeordnung, findet sich nicht der geringste Hinweis auf eine Beziehung zwischen diesem Abendmahl und dem Ostermahl, dem Letzten Abendmahl oder dem Passionsgeschehen – weder, was den Ursprung, noch, was die weitere Entwicklung betrifft.«
»Es handelt sich also um eine weit spätere Erfindung.«
»Gewiss«, stimmte ihm Hochwürden Ramírez zu. »Nach Christi Tod haben einige seiner Anhänger zum Gedenken daran die Feier des Letzten Abendmahls eingesetzt. Das kann angesichts der Umstände nicht als historisches Faktum angesehen werden. Ich wiederhole, den Gral als Kelch oder Schale hat es nie gegeben.«
»Und woher stammt dann dieser Glaube?«
»Das wüsste ich auch gern«, seufzte der Priester. »Die Geschichte des Grals beginnt mit dem Blut, das am Kreuz aus Christi Wunden floss. Joseph von Arimathia, heißt es, habe es in eben dem Kelch aufgefangen, den der Messias beim letzten Abendmahl verwendet hatte, um die Eucharistie zu stiften. Als die Römer am Tag nach der Auferstehung den Leichnam Christi vermissten, bezichtigten sie Joseph von Arimathia, ihn entwendet zu haben. Sie sperrten ihn ein und ließen ihn hungern, damit er das Versteck preisgab. Er aber blieb standhaft, und eines Nachmittags, so wird berichtet, soll ihm Christus, von hellem Lichterglanz umgeben, in der Zelle erschienen sein und ihm den Kelch gereicht haben.«
»Sozusagen eine offizielle Übergabe«, fasste
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