Sagrada: Mystery-Thriller (German Edition)
Munárriz zusammen, »die es ermöglichte, aus der Legende ein Dogma zu machen.«
»So in etwa«, stimmte der Priester zu, ohne in Einzelheiten zu gehen. »Von da an soll jeden Tag eine Taube – sprich, der Heilige Geist – in die Zelle gekommen sein und eine Hostie in den Kelch gelegt haben, die Joseph von Arimathia als Nahrung diente. Um das Jahr 70 herum wurde er in Freiheit gesetzt und verließ das Land, von seinen Anhängern gefolgt. Zu ihnen gehörten auch sein Bruder sowie sein Vetter Born.«
»Und wohin haben sie sich gewendet? Etwa zur Kapelle von San Bartolomé?«
»Nein …«, lachte der Priester. »Der Gralssage nach hielten sie sich während ihrer Pilgerschaft an einem unbekannten Ort auf, um dort einen Tisch ähnlich dem zu bauen, der Jesus beim letzten Abendmahl gedient hatte. An diesem Tisch, heißt es, habe ein Fisch dessen Platz eingenommen, während der für Judas vorgesehene Stuhl frei blieb, weil der Legende nach sterben musste, wer sich darauf setzte.«
»Ach, daher stammt wohl der Aberglaube mit Bezug auf die Zahl dreizehn.«
»Ja. Dieser ›gefährliche‹ oder auch ›verfluchte‹ Platz, wie er in der Gralssage genannt wird, sorgte dafür, dass die Zahl dreizehn in der Kultur des christlichen Abendlandes als unheilvoll galt.«
»Und was hat es mit dem Fisch auf sich?«, wollte Munárriz wissen. »Wieso sollte der an Christi Stelle treten?«
»Im Buch vom Gottesstaat des heiligen Augustinus heißt es, dass sich die Urchristen selbst mit dem griechischen Wort für ›Fisch‹ als ichthys bezeichneten«, erklärte der Priester. »Es vertritt in der christlichen Ikonographie Jesus oder auch die Eucharistie.«
»Das verstehe ich nicht.«
»Im Grunde genommen ist das ganz einfach«, erläuterte der Priester. »Das Wort ichthys wird als Christussymbol angesehen, weil es aus den Anfangsbuchstaben der griechischen Wörter Iesous Christos Theou Hyos Soter besteht, die nichts anderes bedeuten als Jesus, Christus, Gottes Sohn, Erlöser.«
»Ach so«, sagte Munárriz verblüfft. »Aber ich vermute, dass es auch hier wieder eine zweite Ebene des Verstehens gibt.«
»So ist es«, bestätigte der Priester mit einem Lächeln. »Denken Sie daran, dass Christi Auftreten den Übergang vom Zeitalter des Steinbocks oder Widders in das der Fische kennzeichnete. Darin liegt der tiefere Grund dafür, dass der Fisch das Lamm als Symbol verdrängte.«
»Wenn ich etwas von Ihnen gelernt habe«, sagte Munárriz, »dann, dass es für alles zwei Auslegungen gibt.«
»Ja. Das Leben ist nun einmal dual. Sie wissen schon: gut und böse, kalt und warm, hell und dunkel, Mann und Frau, Yin und Yang …«
»Und wie ging es dann mit dem Gral weiter?«
»An dieser Stelle verzweigt sich die Sage und nimmt unterschiedliche Gestalten an«, fuhr Hochwürden Ramírez fort. »In manchen Fassungen heißt es, Joseph von Arimathia habe die britischen Inseln aufgesucht und den Gral in einer von ihm zu Ehren der Jungfrau Maria errichteten Kapelle in Glastonbury in der heutigen Grafschaft Somerset zurückgelassen. Anderen Fassungen zufolge hat er den Heiligen Gral im heutigen Frankreich in die Obhut seines Vetters Born gegeben, der den Beinamen der reiche Fischer trug, weil er seine sämtlichen Gefolgsleute mit einem einzigen Fisch ernährte und damit das von Christus vollbrachte Wunder von der Speisung der fünftausend wiederholte. Dieser Variante der Sage nach haben sich die Anhänger des Joseph von Arimathia in Avalon niedergelassen, dort den Ritterorden der Gralshüter gegründet und im Inneren einer Kirche, die unter dem Schutz einer Burg stand, einen zweiten Tisch gebaut. Die Anlage soll an einem Berg namens Muntsalvatsch gestanden haben, was so viel bedeutet wie ›Berg der Erlösung‹ oder ›Berg des Heils‹. Nach Ansicht einiger Autoren soll es sich dabei um das katalonische Gebirgsmassiv von Montserrat handeln.«
»Und weiter?«
»Die Legende fasert jetzt noch mehr aus«, fuhr der Priester fort, »aber nahezu alle Fassungen haben eins gemeinsam: Aus nicht näher genannten Gründen litt Born an einer Wunde am Unterleib. Im selben Augenblick, in dem er sie empfing, verdorrten Bäume und Felder um die Burg der Gralsritter herum, Flüsse und Bäche trockneten aus, und der Heilige Gral verschwand ebenso schlagartig wie das Wasser, bis der Zauberer Merlin auftauchte.«
»Der Begründer der Tafelrunde.«
»Ja. Damit haben wir den dritten Gralstisch. Um ihn herum versammelte sich eine Gemeinschaft von Rittern, an
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