Sag's Nicht Weiter, Liebling
herum. »Ich erinnere mich an gar nichts mehr. Totaler Blackout!«
»Das glauben alle«, sage ich ermutigend. »Da draußen war gerade ein Typ, der hat genau das Gleiche gesagt …«
»Nein. Ich erinnere mich wirklich an nichts.« Lissy starrt mich mit weit aufgerissenen Augen an. »Meine Beine fühlen sich an wie Watte, ich kann kaum atmen …« Sie nimmt einen Rouge-Pinsel, sieht ihn düster an und legt ihn wieder hin. »Warum habe ich überhaupt zugesagt? Warum?«
»Ähm … weil es Spaß macht?«
»Spaß?« Ihre Stimme wird schrill. »Du meinst, das macht Spaß? O Gott.« Plötzlich ändert sich ihr Gesichtsausdruck, sie bricht ab und stürmt durch eine Tür. Im nächsten Moment höre ich sie würgen.
Also, irgendwas stimmt doch hier nicht. Ich dachte, tanzen sei gesund .
Sie erscheint wieder in der Tür, blass und zitternd, und ich sehe sie besorgt an.
»Liss, geht’s wieder?«
»Ich kann das nicht«, sagt sie. »Ich kann nicht.« Sie scheint plötzlich einen Entschluss gefasst zu haben. »Okay, ich gehe jetzt nach Hause.« Sie sucht ihre Klamotten zusammen. »Sag ihnen, dass ich plötzlich krank geworden bin, es war ein Notfall …«
»Du kannst nicht nach Hause gehen!«, sage ich entsetzt und versuche, ihr die Sachen abzunehmen. »Lissy, es wird prima laufen! Ich meine, denk doch mal nach. Wie oft musst du in großen Gerichtssälen vor Unmengen von Leuten richtig lange Reden halten, und wenn du es vermasselst, kommen Unschuldige ins Gefängnis?«
Lissy sieht mich an, als wäre ich nicht ganz dicht.
»Ja, aber das ist doch einfach !«
»Na ja …« Ich suche verzweifelt nach Worten. »Also, wenn du jetzt kneifst, wirst du es ewig bereuen. Du wirst dir immer Vorwürfe machen und dir wünschen, du hättest durchgehalten.«
Sie schweigt. Ich kann unter den Federn und dem ganzen Zeug praktisch sehen, wie ihr Gehirn arbeitet.
»Du hast Recht«, sagt sie schließlich. »Okay. Ich mach’s. Aber ich will nicht, dass du zuguckst. Du sollst … nur nachher da sein. Nein, doch nicht. Geh einfach weg. Bleib einfach weg.«
»Okay«, sage ich zögernd. »Wenn du wirklich willst, dass ich gehe …«
»Nein!« Sie wirbelt herum. »Du darfst nicht gehen! Ich habe es mir anders überlegt. Ich brauche dich hier!«
»Okay«, sage ich, noch zögerlicher, als ein Lautsprecher in der Wand verkündet: »Noch fünfzehn Minuten!«
»Ich gehe dann mal«, sage ich. »Damit du noch Zeit zum Aufwärmen hast.«
»Emma.« Lissy packt mich am Arm und fixiert mich mit einem intensiven Blick. Sie hält mich so fest, dass es wehtut. »Emma, wenn ich so was jemals wieder machen möchte, dann halt mich davon ab. Egal, was ich sage. Versprich mir, dass du mich davon abhältst.«
»Versprochen«, sage ich hastig. »Versprochen.«
Ach du Scheiße. So habe ich Lissy ja in meinem ganzen Leben noch nicht erlebt. Als ich wieder auf den Vorplatz gehe, der sich inzwischen mit noch mehr gut gekleideten Leuten gefüllt hat, bin ich selbst schon ganz aufgeregt. Sie sah aus, als könnte sie nicht mal aufstehen, geschweige denn tanzen.
Bitte lass sie es nicht vermasseln. Bitte.
In einer Horrorvision sehe ich Lissy auf der Bühne stehen, wie ein verschrecktes Kaninchen, und sich nicht an ihre Schritte erinnern. Und das Publikum starrt sie einfach nur an. Schon der Gedanke daran dreht mir den Magen um.
Okay. Das lasse ich nicht zu. Wenn irgendwas schief geht, sorge ich für eine Störung. Ich täusche einen Herzinfarkt vor. Genau. Ich breche auf dem Boden zusammen, alle sehen mich einige Sekunden lang an, aber die Aufführung geht natürlich weiter, wir sind schließlich Briten, und bis sich alle wieder der Bühne zuwenden, sind Lissy ihre Schritte wieder eingefallen.
Und wenn sie mich ins Krankenhaus bringen oder so, sage ich einfach: »Aber ich hatte so schreckliche Schmerzen in der Brust!« Man wird nicht beweisen können, dass ich die nicht hatte.
Und selbst wenn sie es beweisen können, mit irgendeinem Spezialgerät, dann sage ich einfach …
»Emma.«
»Was?«, sage ich abwesend. Und dann setzt mein Herzschlag aus.
Drei Meter vor mir steht Jack. Er trägt seine übliche Uniform, Jeans und Pulli, und sticht damit aus der Anzug tragenden Juristenmeute meilenweit heraus. Als ich in seine dunklen Augen sehe, ist der ganze Schmerz wieder da.
Gar nicht reagieren, sage ich mir schnell. Ende Gelände. Neues Leben.
»Was machst du denn hier?«, frage ich mit einem kleinen
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