Sahnehäubchen: Roman
Schnitzereien in meine Frisur sägen.
Endlich biegt ein Taxi um die Ecke und hält direkt neben mir. Nils springt aus dem Fond und hält mir galant die Wagentür auf. Ich nehme Platz, er setzt sich neben mich und strahlt mich an.
»Hallo Nina! Du siehst umwerfend aus.«
»Danke. Ich habe versucht, meine Erkältung ein bisschen wegzuschminken«, gebe ich mich bescheiden. Er muss ja nicht wissen, wie lange ich vor dem Spiegel gestanden habe. »Ich hoffe, das ist mir gelungen.«
»Also, wie gesagt, du siehst toll aus. Aber es wäre gar nicht nötig gewesen – ich habe es dir ja schon einmal gesagt: Eine schöne Frau entstellt nichts.«
Hu, das ist jetzt fast ein bisschen dicke, aber natürlich trotzdem sehr schmeichelhaft. Allerdings sieht Nils heute Abend selbst im Dwaine-Style zum Anbeißen aus: Er trägt einen schwarzen, sehr lässig geschnittenen Anzug, dazu ein weißes Hemd ohne Krawatte. Der Kragen ist nicht geschlossen und liegt über dem Revers des Sakkos, was ich normalerweise als modischen Schnickschnack verurteilen würde, aber bei ihm sieht es gut aus. Seine blonden, vollen Haare fallen mit einer großen Locke in die Stirn. Kurzum: ein sehr schmucker Mann, dem ich für einen Moment sogar das LOVE-Kettchen verzeihe.
Wir kommen am Restaurant an. Im Verlag ist man offenbar wild entschlossen, einen Großteil der Gewinne aus den Buchverkäufen heute Abend zu verfuttern, denn das Fischereihafenrestaurant ist nicht nur für seine exzellente Küche berühmt, sondern auch für seine Preisgestaltung – sie bewegt sich eindeutig im obersten Segment. Meine Mutter hat uns hier ein paarmal zum Geburtstag eingeladen und dürfte dabei schon den ein oder anderen Fünfhunderteuroschein verbrannt haben. Aber lecker war’s, keine Frage.
Im Inneren des Gourmettempels geht es gediegen hanseatisch zu: Stiche an den Wänden, Messing und Holz sind offenbar die Lieblinge des verantwortlichen Innenarchitekten. Gut, Geschmackssache. Überhaupt nicht Geschmackssache ist allerdings der Blick aus dem Fenster: Der ist einfach toll! Das Fischereihafenrestaurant liegt direkt an der Elbe, fast kann man die großen Pötte beim Vorbeifahren anfassen.
Als wir an den Tisch kommen, begrüßt uns Weidner senior höchstpersönlich und euphorisch. »Der Bestsellerautor – herzlichen Glückwunsch, Herr Bosworth! Ich freue mich, Sie und die anderen Gäste heute Abend in eines der besten Hamburger Restaurants einzuladen. Glauben Sie mir – hanseatischer geht es nicht!«
Susanne ist auch schon da, des Weiteren Salchow und eine Dame, die ich heute zum ersten Mal sehe und die mir als Irene Lichtenhagen vorgestellt wird. Als wir sitzen und der Kellner den Aperitif serviert, beugt sich Salchow verschwörerisch zu mir und flüstert: »Dann wollen wir dem Bosworth doch mal zeigen, was ein tolles Restaurant ist. Gibt’s doch so gar nicht in Amerika.«
Ich verzichte auf den Hinweis, dass es erstens in den Vereinigten Staaten ganz hervorragende Restaurants gibt und dass es auch zweitens gar keine Rolle spielt, weil der Herr Bosworth sowieso kein Amerikaner ist. Wir wollen Herrn Salchow doch nicht den schönen Abend verderben. Aber innerlich muss ich zum ersten Mal, seit mich Nils eingeweiht hat, über die ganze Geschichte schmunzeln. Es hat doch etwas von Des Kaisers neue Kleider. Aber natürlich gilt: The show must go on, und so bedankt sich Nils wortreich mit seinem bescheuerten amerikanischen Akzent bei Weidner und Salchow, erwähnt netterweise noch die unglaublichen Verdienste der betreuenden Agentur und endet mit einem treuherzigen: »Was wäre ich ohne Sie alle?« – was bei ihm natürlich wieder einmal so klingt, als würde sich Howard Carpendale bei seinen Fans bedanken. Überhaupt läuft er heute wieder zu großer Form auf, die Rolle des Dwaine ist ihm wirklich wie auf den Leib geschrieben. Allein wie er Frau Lichtenhagen anflirtet, die sich als seine Lektorin entpuppt, kommt mir vor wie in einem schlechten Film. Ihr scheint es allerdings zu gefallen, denn sie zeigt das gesamte Repertoire, das Soziologen wohl als weibliches Balzverhalten bezeichnen würden: Sie wirft beim Lachen den Kopf nach hinten, dreht andauernd eine Locke ihrer blonden Mähne zwischen den Fingern und fährt sich alle zwei Minuten mit der Zunge über die Lippen.
Gott sei Dank müssen wir nicht lange auf den ersten Gang warten, und als die Kellner ein sehr verführerisch aussehendes Thunfischtatar vor jedem von uns abstellen, hört auch die blöde Lichtenhagen
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