Sahnehäubchen: Roman
Möbelhaus Singer.«
»Nach Ikea?«, rumpelt es vom Fahrersitz.
»Nein, zum Möbelhaus Singer«, erkläre ich geduldig. Es gibt also bereits einen Ikea in Kaarst? Na, das kann ja heiter werden für unseren Kunden.
»Möbelhaus wat?« Der Fahrer blickt mich ratlos an. Die Nachricht vom Großevent hat sich offensichtlich noch nicht überall herumgesprochen. Hektisch blättere ich in meinen Unterlagen. »Äh, das liegt im Gewerbegebiet Holzbüttgen, Porschestraße.«
»Sie sagten, Sie wollen nach Kaarst«, grummelt der Mann am Steuer in seinen nichtvorhandenen Bart, »aber bitte, wie Sie wollen.« Dann gibt er Gas. Für eine rheinische Frohnatur ist er danach ungewöhnlich schweigsam, so dass ich in aller Ruhe die triste Landschaft, die an mir vorüberzieht, genießen kann.
Nach einer knappen halben Stunde halten wir tatsächlich vorm Möbelhaus Singer. Ein riesiger Klotz, praktisch, quadratisch, gut, in Knallorange und – von der Eingangstür einmal abgesehen – komplett ohne Fenster. So viel zum Thema Design. Ich starre durch die Scheiben. Alles dunkel, alles dicht, weit und breit kein Mensch. Das läuft ja super. Entschlossen stiefele ich mit meinem Rollköfferchen einmal um den Koloss herum. Und siehe da – eine Metalltür mit der Aufschrift Personal-Eingang steht sperrangelweit offen. Neonlicht und ein Treppenhaus aus nacktem Beton empfangen mich. Hinein ins Vergnügen. Ich wuchte meinen Koffer die Treppen hoch und brülle beherzt: »Hallo? Ist da jemand?«
»Frau Seekamp?«, hallt mir ein dünnes Stimmchen entgegen.
»Feld!«, brülle ich. »Seefeld!«
»Frau Feld?«
»Seeeeeeeefeld! Aus Hamburg!«
Im ersten Stock treffe ich auf ein kleines Männlein in einem schlecht sitzenden, zu großen Anzug, dessen schütteres, mausgraues Haar optimal mit seiner zur Talgbildung neigenden Haut harmoniert. Euphorisch schüttelt das Kerlchen meine Hand.
»Frau Feldkamp, wie schön, wie schön. Günter Hartmann mein Name. Ohne h, also der Günter, nicht der Hartmann, he, he, he. Ich bin der Geschäftsführer.«
Ein Mann mit Humor, das kann heiter werden.
Nachdem ich das Missverständnis mit meinem Namen aufgeklärt habe, führt mich Günter ohne h gefühlte siebzehn Stunden durch sein Möbelhaus. Es ist schlimmer, als ich erwartet habe: viel Eichenfurnier, die Betten haben als i-Tüpfelchen der Raffinesse ausklappbare Beistelltischchen, integrierte Nachtlampen und Spiegel, die Sofabezüge sind nicht nur aus Polyester, sondern auch noch wild gemustert. »Das sind so grafische Elemente. Ganz modern, ganz modern!« Günter ohne h strahlt mich an. Wenig später streichelt er hemmungslos über die Oberflächen einer Einbauküche aus Plastik: »Unverwüstlich, wirklich unverwüstlich!«
Als wir den Rundgang durch das Reich des schlechten Geschmacks beendet haben, bin ich völlig ermattet und habe Kopfschmerzen. Liegt das an dem künstlichen Licht? Oder daran, dass die von zarten chinesischen Kinderhänden geklöppelten Möbelstücke zu viele Giftstoffe ausdünsten?
»Soooo, Frau Feldsee«, unterbricht Herr Hartmann meine Überlegungen, »und jetzt gehen wir mal richtig schön essen und entwerfen den Schlachtplan für morgen. Da stößt jetzt auch gleich der Herr Husche zu uns.« Er strahlt mich erwartungsfroh an.
Herr Husche? Ich stehe ziemlich auf dem Schlauch, der Name steht nicht auf Hennings Liste. Hartmann interpretiert meinen ratlosen Gesichtsausdruck richtig: »Das ist der Manager der Band Sturm, unser Top-Act am Samstag.«
Ach so, der heißt Husche. Von mir aus. Solange ich aus dieser Designhölle herauskomme, ist mir alles recht.
Das Lokal zum »mal richtig schön essen gehen« entpuppt sich als Pinte unterster Kategorie, liegt aber – wie praktisch – nur drei Straßen vom Möbelhaus Singer entfernt. Nachdem ich mein Rollköfferchen unter der Sitzbank verstaut habe, studiere ich die Speisekarte. Vom Jäger- bis zum Zigeunerschnitzel ist alles im Angebot, was so ein altes Schwein hergibt. Andere Tiere haben hier ebenso Schonzeit wie jede Form von Gemüse. Nach dem großen Design nun also die große Küche. Aber bevor ich maulig werden kann, fliegt die Tür auf, und herein kommt etwas, das wie Atze Schröder in alt und dick aussieht: ein verlebter Mittfünfziger mit blondiertem Minipli, sonnenbankgegerbt, das grelle Hawaiihemd bis kurz vorm Bauchnabel aufgeknöpft, die obligatorische Goldkette am Stiernacken, Karottenjeans zu Cowboystiefeln.
»Nä, nä, nä! Dat hab isch mir doch jedacht, dä Dieter
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