Sahnehäubchen: Roman
Individuen. Das muss der Top-Act sein. Auweia.
Zur Begrüßung drückt Huschka mich so fest an seine behaarte Brust, als wären wir mindestens verwandt. Bilde ich mir das ein, oder hat der immer noch eine Fahne? »Na, Liebelein, haste den Dieter schon vermisst?«
Und wie.
»Jünter, ming Fründ, wieder klar im Kopp? Dat war ja jestern ene Sause …«
Günter ohne h grinst leicht schief. Dann wohnen wir drei der Generalprobe von Sturm bei. Der Sänger krächzt, der Keyboarder hinkt mindestens einen Takt hinterher, der Drummer verpasst seine Einsätze, Bass- und E-Gitarrist treffen nur jeden dritten Ton. Mich packt das nackte Grausen, Hartmann sieht auch nicht gerade glücklich aus. Nur Huschka ist ungebrochen fröhlich. »Dat wird schon noch. Isch besorg uns jetzt erst mal wat zu trinkn!«
Als ich um 22:30 Uhr in meine Hotel-Hängematte krieche, habe ich außer drei »Piccolösche« und einem verschrumpelten Wiener Würstchen schon wieder nichts im Magen, bin aber auch viel zu fertig, um mir jetzt noch irgendetwas Essbares zu organisieren. Auf meiner Odyssee zurück ins Hotel bin ich zwar wieder an einem McDonald’s vorbeigekommen, aber darin hatte sich die komplette Cheerleadertruppe zusammengerottet, und für eine weitere Begegnung mit denen fühlte ich mich schon viel zu ermattet. Aber wer weiß, vielleicht gehe ich später in die Annalen ein als Erfinderin der Holzbüttgen-Diät? Bevor ich in einen traumlosen Schlummer sinke, denke ich noch kurz an den morgigen Tag. Wird schon. Nur der Top-Act bereitet mir Sorgen …
Der Samstag startet nicht viel besser als der Freitag. Nach der zweiten Nacht in diesem Bett Marke Rückentod habe ich höllische Kreuzschmerzen. Und einen Hunger, dass ich das Frühstücksbuffet des Holiday Inn als kulinarische Offenbarung empfinde. Nach dem fünften Brötchen stapfe ich gestärkt und entschlossen dem großen Event entgegen.
Am Möbelhaus Singer flattern lustige Wimpel, Fähnchen und Luftballons im Wind. Noch ist der riesige Parkplatz leer, aber es ist ja auch erst neun; die Party soll von 10 bis 18 Uhr steigen.
Hartmann trägt zur Feier des Tages eine orange Krawatte mit grünen Punkten nebst verschnörkelter Krawattennadel, Huschka hat sich in ein schreiend pinkes Hawaiihemd geschmissen. Was für ein Gespann! Neben den beiden komme ich mir in meinem dunkelblauen Hosenanzug richtig farblos vor.
»Frau Seemann, da sind Sie ja endlich, endlich«, begrüßt mich Hartmann nervös. Huschka grunzt nur kurz. Wenn ich seine Ausdünstungen richtig interpretiere, muss er noch einen veritablen Kater zähmen. Er trollt sich entsprechend zu einem der Bierstände, während Günter, zwar ohne h, aber dafür in Begleitung seines artigen Dackels Nina zur Kontrolle noch einmal die vier Stockwerke abläuft. »Frau Seehaus, haben Sie eigentlich schon die schicken Muster der Sofas bemerkt? Ganz modern, ja, ja.«
Punkt zehn öffnet das Möbelhaus Singer dann seine Pforten. Und zu meiner großen Überraschung kommt alles, was in Kaarst Rang, Namen oder auch nur zwei gesunde Beine hat, in den nächsten Stunden zu Besuch. Die Tombola ist ein großer Erfolg, aber auch die Cheerleader machen ihre Sache einfach super. Unter dem fröhlichen Gejohle und Geklatsche der Menge schwingen sie ihre Puschel, dass mir beim Anblick ganz schwindlig wird. Die Hüpfburg, die Hartmann strategisch klug in der Bettenabteilung postiert hat, bricht zwar zwischenzeitlich wegen Überlastung zusammen, aber das scheint niemanden zu stören. Schon gar nicht die Kinder: Die weichen einfach auf die Wasserbetten aus.
Dann ist es so weit – begleitet von frenetischem Applaus betritt Sturm im Erdgeschoss die Bühne. Soll ich mir jetzt die Ohren zuhalten oder mich unter einer Polsterlandschaft verkriechen? Während ich die beiden Möglichkeiten noch gegeneinander abwäge, rocken die Jungs los … und ich merke, wie ich schon nach den ersten Takten mitwippe. Heute sitzt plötzlich jeder Ton, und die verschnarchten Typen von gestern entpuppen sich als wahre Rampensäue. Nach einer halben Stunde ist die Halle völlig entfesselt, es wird geschunkelt und mitgesungen, als gäb’s kein Morgen mehr. Ich ertappe mich dabei, wie auch ich »Hölle, Hölle, Hölle« brülle.
»Siehste, Liebelein, haste dir janz umsonst Sorgen gemacht, wat?«, schreit mir Huschka ins Ohr. Ich haue ihm auf die Schulter: »Dieter, deine Truppe ist der Wahnsinn …« Verschwitzt taumelt Hartmann an uns vorbei, der mit fliegenden Anzugschößen eine
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