Sahnehäubchen: Roman
Nachbarin, die immer Post für mich annimmt, wenn ich nicht da bin. Kann ich ihr in meinem desolaten Zustand die Tür öffnen, oder wird sie dann die Polizei rufen, weil sie mich für das Opfer eines Gewaltverbrechens hält? Ach, egal. Frau Mischke sieht mich ja nicht zum ersten Mal. Auf meinem Nachttisch finde ich ein Zopfgummi, schnell binde ich meine Haare zu einem sehr kurzen Pferdeschwanz. Dann gehe ich so schnell, wie mein angeschlagener Zustand es zulässt, zur Tür – nicht, dass sie nachher noch mal klingeln muss.
Vor der Tür steht allerdings nicht Frau Mischke, sondern: meine Schwester. Was will die denn hier? Ob sie noch sauer ist wegen gestern und mir jetzt die Standpauke halten will?
»Hallo Finja!«, begrüße ich sie halbherzig und öffne die Tür auch nicht weiter als den Spalt, den sie schon offen steht.
»Hallo. Willst du mich nicht reinlassen?«
»Das kommt drauf an. Wenn du hier bist, um mir zu erzählen, dass ich mich unmöglich benommen habe, dann lieber nicht.«
»Quatsch, wie kommst du denn darauf? Ich bin so unglaublich nett und bringe dir dein Auto vorbei. Den Ersatzschlüssel hatte ich ja noch. Ich dachte, dass du es vielleicht brauchen könntest.«
»Oh, super – das ist wirklich eine gute Idee von dir gewesen.« Ich öffne die Tür und mache eine einladende Handbewegung. »Komm rein. Ich habe allerdings noch einen ziemlich dicken Kopf und wollte den Tag eigentlich auf dem Sofa verbringen.«
»Echt? Hast du gestern so viel getrunken? Habe ich gar nicht mitbekommen.« Finja guckt erstaunt. Kein Wunder. Ich glaube, im Hause von Kannhardt betrinken sich Gäste nicht. Und Frauen schon gar nicht. Es geht dort immer sehr gesittet zu.
»Na, so drei bis vier Gläser Rotwein und mehrere Gläser Sekt waren es sicher. Und nach unserem unrühmlichen Abgang war ich mit Dwaine noch ein bisschen unterwegs.«
Wir setzen uns nebeneinander auf das Sofa. Finja beäugt mich neugierig. »Dieser Dwaine ist doch nur ein Autor des Verlags, den du betreust, oder?«
»Was meinst du denn mit nur ein Autor? «
»Na, ich meine – kennst du den näher? Immerhin hast du ihn zu meinem Geburtstag mitgebracht.«
»Ich war jetzt zwei Wochen ununterbrochen mit Dwaine unterwegs, und er kennt keine Menschenseele in Hamburg. Deswegen habe ich ihn mitgebracht.« Ich muss ihr nicht auf die Nase binden, dass ich vor allen Dingen ihrem blasierten Ehemann eins auswischen wollte. »Er war ein bisschen einsam.«
»Ja? Komisch, auf mich wirkte er gar nicht so wie jemand, dem du als Gutmensch mal unter die Arme greifen müsstest.«
Wird das hier ein Verhör? Ich beschließe, nichts zu dieser Bemerkung zu sagen. Stattdessen stehe ich auf und gehe in Richtung Küche. »Möchtest du auch etwas trinken? Oder essen? Ich habe noch nicht gefrühstückt.«
»Danke, ein Kaffee wäre nett.« Finja folgt mir in die Küche. »Wie ist er denn so, dieser Dwaine?«
»Du hast ihn doch selbst kennengelernt.«
»Ja, aber ich meine – ist der wirklich so wie gestern Abend? So ein Macho? Könnte doch sein, dass das alles nur Show ist, damit sich sein Buch verkauft.«
Auf die Idee bin ich auch schon gekommen, liebe Schwester. Nein, das behalte ich lieber mal für mich. Es sind ja auch immer nur vorübergehende Anwandlungen. Stattdessen zucke ich mit den Schultern. »Möglich ist natürlich alles. Aber ich glaube, er ist da schon authentisch. Ist mir aber auch egal. Ich muss nur dafür sorgen, dass die Pressearbeit gut läuft. Und glaub mir, das ist schon schwierig genug.«
Ich stelle den frisch aufgebrühten Kaffee auf ein Tablett, hole noch zwei Joghurts aus dem Kühlschrank, dazu Marmelade, Butter und Milch. Dann stecke ich zwei Toastscheiben in den Toaster. Noch zwei Kaffeetassen und Teller, fertig. Das Tablett trage ich zurück ins Wohnzimmer und stelle es auf den Couchtisch vor dem Sofa. Finja setzt sich wieder.
»Aber schon irgendwie faszinierend, so ein Mann.«
Bitte? Da habe ich mich wohl verhört. »Was findest du denn an diesem Machogefasel faszinierend? Also, Dwaine kann schon ganz nett sein, aber das verbirgt er meist ganz ausgezeichnet hinter dieser ganzen Verführernummer.«
»Du hörst mir nicht richtig zu. Ich meine nicht nett, sondern faszinierend «, stellt meine Schwester klar. »So wild und rauh. Unangepasst. Ja, das beschreibt es: Dwaine ist so unangepasst. Weißt du, ich treffe sonst nur kultivierte, feinsinnige Männer. Da ist Dwaine so erfrischend anders.«
Ich mustere Finja aufmerksam. »Sag mal,
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