Sahnehäubchen: Roman
naturgemäß sehr wenig los. Kein Wunder – ich habe in dieser virtuellen Welt nur vier Freunde, und die sind offenbar auch nicht die aktivsten. Immerhin hat meine Schwester neue Kinderfotos ins Netz gestellt. Die lieben Kleinen: ganz niedlich herausgeputzt und offenbar in Erwartung des Weihnachtsmannes. Eine richtige Bilderbuchfamilie. Kinder, ein wichtiger Mann und dann selbst noch Künstlerin – meine Schwester ist Superwoman. Kein Wunder, dass meine Mutter so stolz auf Finja ist. Für einen kurzen Moment versetzt mir dieser Gedanke einen Stich; ich schiebe ihn schnell beiseite.
Mit zwei Klicks lande ich auf Dwaines Facebook-Präsenz – und bin beeindruckt. Hier hat sich richtig viel getan! Mittlerweile hat Dwaine schon 1020 Fans. Dann müssen sich ja allein in der letzten halben Stunde noch 15 Leute dazugesellt haben! Die Fotos von den Veranstaltungen, die Tom geschossen und auf die Seite gestellt hat, machen auch richtig was her – es sieht auf jedem Bild so aus, als hätten die Massen die Säle gestürmt. Das Beste an der Seite sind aber Dwaines respektive Toms Texte. Wahre Meisterwerke chauvinistischen Geschwurbels:
Männer, ihr müsst eins begreifen: Als Verführungskünstler seid ihr die neue Guerilla der Städte. Ihr kämpft für die Freiheit, ihr lasst euch keine Fesseln anlegen. Ihr erreicht euer Ziel, ohne Gefangene zu machen. Und ohne selbst gefangen zu werden. Die Frau ist Gegner und Trophäe zugleich. Aber euer Ziel ist nicht die nächste Frau – euer Ziel muss euer persönliches Glück sein!
Wow! Ob die Uwes und Jürgens dieser Welt überhaupt verstehen, was Dwaine-Tom damit meint? Und was mich ehrlicherweise noch mehr interessiert: Ob sich Dwaine-Tom dabei tatsächlich etwas gedacht hat? Mal ehrlich: Guerilla der Städte? Das ist schon ein bisschen dicke. Aber offenbar bin ich die Einzige, die das komisch findet, denn immerhin hat Dwaines wertvoller Ratschlag, das persönliche Glück zu suchen, sehr wohlwollende Kommentare erhalten.
Simon Bechtler: Dwaine, du hast es einfach raus! Habe bisher immer versucht, mein Glück durch eine Frau zu finden. Kein Wunder, dass das nie klappt!
Axel Müller: JAAA! Guerilla! Wild und gefährlich – so wird’s gemacht!
Birdy Bond: Hahahahaha! Forget Emanzipation!
Helge Pukowski : Hey Dwaine! Wann kommst du mal nach Kiel? Läuft gerade nicht so bei mir.
Simon Bechtler: @Birdy Bond: Du hast recht: Die Weiber schwafeln alle von Emanzipation. Aber dann wollen sie doch gehätschelt und getätschelt werden. Du sollst ihnen die Tür aufhalten und die Rechnung im Nobelrestaurant bezahlen. Aber wenn es dann im Gegenzug in die Kiste gehen soll – no way! Dann wollen sie auf einmal ihre Ruhe und den »neuen Mann«.
Birdy Bond: @Simon: So sieht’s aus. Aber geh mal zu Meister Dwaine. Ich schwöre dir, du wirst es nicht bereuen.
Dwaine F. Bosworth: @all: Danke euch! Und don’t worry: Auch der längste Weg beginnt mit dem ersten Schritt. Den habt ihr gemacht. Beim Rest zählt auf mich.
Aua, aua. Auch der längste Weg beginnt mit dem ersten Schritt. Aus welchem Poesiealbum hat Tom das denn abgekupfert? Und auch sein nächster Tipp an die interessierte Männerwelt liest sich wie aus einem schlechten Film.
Dwaine F. Bosworth: Ich bin der Bestimmer. Ich sage, was, ich sage, wann, ich sage, wie. Im Restaurant wähle ich den Tisch. Ich gebe den Verlauf des Abends vor. Und sie wird mir folgen. Ich schwöre dir, sie wird mir folgen. Denn die Frau will den Alphamann, den Führer der Gruppe. Sei niemals demütig oder gehorsam!
Es ist schon ein bisschen gruselig, wie gut Tom Dwaine kopieren kann. Ob er insgeheim sogar seiner Meinung ist? Das allerdings wäre natürlich fatal, denn Tom ist doch so ungefähr das Gegenteil vom Alphamann. Gut, er ist auch nicht demütig und gehorsam, aber ein Bestimmer? Ganz sicher nicht. Dafür ist er viel zu … ich suche nach dem richtigen Wort … viel zu verspielt. Genau, das trifft es: Tom ist verspielt. In gewisser Weise erinnert er mich an meinen kleinen Bruder.
Mein Bruder hat übrigens immer irgendeine Freundin am Strick, auch ohne ein Bestimmer zu sein. Ich halte also beruhigt fest, dass an Dwaines Thesen nicht viel dran ist. Alles andere wäre auch eine sehr bittere Erkenntnis für alle nicht völlig unterbelichteten Frauen auf dieser Welt. So, wie Dwaine uns schildert, sind wir einfach nicht. Davon bin ich fest überzeugt.
Es klingelt. Ich erwarte keinen Besuch, wahrscheinlich ist es also Frau Mischke, meine
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