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Sahnehäubchen: Roman

Sahnehäubchen: Roman

Titel: Sahnehäubchen: Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne Hertz
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wenigstens für eine Stunde.«
    Damit ist es amtlich: Meine Schwester hat eine Lebenskrise. Für Midlife ist sie natürlich zu jung, dann wird’s wohl Quarterlife sein. Ich packe sie an den Schultern und schüttle sie sanft.
    »Aber Finja – du bist jung. Dein Leben liegt noch vor dir, statistisch mindestens fünfzig Jahre!«
    Sie schaut mich aus verheulten Augen an. »Fünfzig Jahre Vorort – das ist doch die Höchststrafe!«
    »So schlimm ist Wellingsbüttel nun auch wieder nicht«, behaupte ich und lege so viel Überzeugungskraft in meine Stimme, wie es einer erfahrenen PR-Frau möglich ist. »Ich würde es wenigstens als Nobelvorort bezeichnen«, versuche ich mich dann noch an einem kleinen Scherz. Gelingt leider nicht, Finja schluchzt noch lauter. »Okay, was genau ist denn jetzt dein Plan?«
    »Ich weiß nicht«, schnüffelt meine Schwester in meine Schulter. »Als wir am Dienstag telefoniert haben, wollte ich einfach nur weg. Mal raus, um ein paar Tage den Kopf freizubekommen. Danke, dass ich kommen durfte!«
    »Das war doch selbstverständlich. Ich habe mich schon bei deinem Spontanbesuch am Sonntag gefragt, ob da etwas nicht stimmt bei euch. Und als du dann noch Dwaines Buch mitgenommen hast …«
    Finja setzt sich auf, und ich sehe, dass sie wieder rot wird. Oder besser gesagt: Ihre Wangen passen sich farblich ihren Augen an. »Na ja, ich finde ihn schon ein bisschen spannend. Vielleicht auch ziemlich spannend. Aber das ist Unsinn, das weiß ich auch. Trotzdem wollte ich gerne sein Buch lesen. So hatte ich das Gefühl, ihn ein wenig besser kennenzulernen.«
    Ich seufze. Zu gerne würde ich Finja jetzt die Wahrheit erzählen. Aber ich habe Nils mein Versprechen gegeben, das nicht zu tun. Wobei es mir gerade extrem unfair erscheint, dass sich jetzt ausgerechnet ein Lügner auf ein solches Versprechen beruft.
    Finja mustert mich. »Du findest Dwaine überhaupt nicht interessant? Das glaube ich dir nicht.«
    Ich zucke mit den Schultern. »Also gut, er sieht natürlich nicht schlecht aus.«
    »Es hat überhaupt nie geknistert bei euch?«, hakt sie nach. »Obwohl ihr so viele Abende miteinander verbracht habt?«
    »Weißt du, ich bin mir zu schade für eine schnelle Nummer mit jemandem, der ganz offensichtlich Strichlisten über seine Damenbekanntschaften führt«, erkläre ich ihr. »Selbst wenn es mal ein bisschen geknistert hat.«
    Finja nickt. »Verstehe. Also auch eine Frage der Ehre.«
    »Gewissermaßen.« Nur, dass dieser Grund nun komplett entfallen ist, aber das darf ich Finja leider nicht erzählen. Die hat allerdings schon ein ganz anderes Thema.
    »Sag mal, was ist denn mit Tom? Ich hatte an dem Abend in Thanow den Eindruck, dass der dich sehr gerne mag.«
    »Ja, Tom ist nett«, gebe ich zu. »Aber als Volontär sozusagen mein Azubi. Für ein wildes Techtelmechtel also auch nicht der Richtige.«
    »Mann, bist du streng mit dir!« Finja grinst. »Der eine ist dir zu gefährlich, der andere nicht auf Augenhöhe – mit dieser Haltung verpasst du bestimmt eine Menge Spaß im Leben.«
    »Sagt die Frau, die mit Mitte zwanzig geheiratet und dann drei Kinder bekommen hat«, kontere ich genervt.
    »He, das ist unfair!«, wehrt sich Finja. »Du musst nicht gleich scharf schießen, nur weil ich dich hier mal auf das eine oder andere in deiner Lebensführung hinweise.«
    »Entschuldigung. War nicht so gemeint. Wahrscheinlich nervt mich nur, dass du womöglich ein klein wenig recht hast. Aber nur ein klitzeklein wenig.«
    »Sieh es doch mal so – ich würde es an deiner Stelle einfach mal ausprobieren.«
    »Es?«
    »Na gut: einen von ihnen.«
    »Einen von ihnen mal ausprobieren? Finja, du bist schlimm! Ich erkenne dich gar nicht wieder. Was ist denn bloß aus meiner vernünftigen großen Schwester geworden?«
    »Das kann ich dir genau sagen.« Mit einem Schlag guckt mich Finja sehr ernst an. »Die ist eines Morgens aufgewacht und hat festgestellt, dass das Leben zu kurz ist, um nur das zu tun, was alle von dir erwarten.« Dann sagt Finja nichts mehr, und eine unangenehme Stille entsteht, weil ich auch nicht weiß, was ich darauf erwidern könnte. Und verglichen mit den Sorgen, die sich Finja gerade macht, ist Dwaine-Nils natürlich das kleinere Problem. Immerhin haben Alexander und Finja drei süße Kinder – einfach hinschmeißen ist also nicht.
    In das Schweigen hinein beginnt mein Handy zu summen. Eine SMS. Ich stehe auf, gehe zum Wohnzimmertisch und werfe einen kurzen Blick auf das Display. Dwaine.

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