Sahnehäubchen: Roman
möchte mich von Alex trennen.«
Ich bin baff – das ist nun eindeutig mehr als einfach nur Knies und bringt mein Weltbild doch einigermaßen ins Wanken.
»Aber Finja, nun mach mal halblang. Eine Krise kann doch in jeder Partnerschaft vorkommen. Ihr seid immerhin schon elf Jahre verheiratet, da gibt es eben mal Höhen und Tiefen.«
»Nein, du versteht mich nicht. Wir haben keine Krise. Ich habe eine Krise.« Sie schluckt schwer. »Ich halte das Leben, das ich führe, einfach nicht mehr aus.«
Ich starre Finja sprachlos an.
»Ich weiß, dass das schlimm klingt«, sagt sie mit erneut fast tränenerstickter Stimme. »Aber genau so ist es.«
Wie tröstet man jemanden, dem es objektiv betrachtet gutgehen müsste? Ist das ein Fall für Oh, du Ärmste oder eher für eine gepflegte Kopfwäsche? Ich entscheide mich für Letzteres, allerdings in der gemäßigten Variante.
»Ja, aber … du hast drei niedliche Kinder und einen erfolgreichen Mann, der dich auf Händen trägt«, zähle ich auf. »Du sitzt in einem Riesenhaus, von dem ich gar nicht wissen möchte, was es gekostet hat. Was genau ist daran so furchtbar? Ich stelle mir das eigentlich ganz schön vor, und ich bin mir sicher, dass dich sehr viele Menschen beneiden. Also … ich zum Beispiel manchmal.«
Bevor Finja weitersprechen kann, greift sie sich ein Taschentuch vom Wohnzimmertisch und schneuzt laut.
»Nein. Ich beneide dich.«
»Du beneidest … mich? « So langsam verstehe ich gar nichts mehr. »Worum genau beneidest du mich denn? Um die Tatsache, dass ich seit vielen tausend Jahren Single bin? Keine Kinder habe?«
»Genau darum!«, entfährt es ihr unerwartet heftig. »Natürlich liebe ich meine Kinder über alles. Aber manchmal habe ich das Gefühl, dass sie mich regelrecht auffressen. Ständig zerrt irgendeins an mir herum. Ich kann nicht mal in Ruhe duschen gehen!«
»Also, so nervig finde ich deine drei wirklich nicht«, schiebe ich ein. Die Bemerkung hätte ich mir sparen sollen. Finja heult laut auf.
»Logisch, wenn du als nette Tante mit dem Arm voller Geschenke hereinschneist, machen sie natürlich auf extrem wohlgeraten. Und bevor sie maulig werden, bist du ja schon wieder weg. Du bist eben unabhängig. Du kannst tun und lassen, was du willst. Du hast einen eigenen Job, eine eigene Wohnung, ein eigenes Leben. Ich habe nichts davon. Wenn Alexander mich morgen verlassen würde, wäre ich komplett hilflos.«
»Äh, Moment mal, aber hast du nicht gerade gesagt, dass du dich gerne von ihm trennen würdest? Und jetzt sagst du, dass du Angst hast, er könnte dich verlassen? Das kriege ich irgendwie nicht zusammen.«
»Das ist doch ganz einfach: Ich habe in letzter Zeit oft an Trennung gedacht, und dabei ist mir aufgefallen, dass ich mich von Alex total abhängig gemacht habe. Als ich ihn kennengelernt habe, galt ich als talentierte Pianistin, das weißt du doch noch«, erinnert sie mich unnötigerweise. Wie könnte ich das vergessen? Aber sie macht einfach weiter, so als müsse sie selbst sich daran erinnern: »Ich hatte schon einige sehr erfolgreiche Konzerte gegeben, ich war auf dem Sprung, richtig Karriere zu machen. Und jetzt? Ich habe seit fast zehn Jahren nicht mehr professionell gespielt – momentan würde mich wahrscheinlich nicht mal mehr die Jugendmusikschule nehmen. Ich habe mich um die Kinder gekümmert und mich gefreut, dass es bei Alexander so gut läuft. Ich dachte immer, sein Erfolg ist auch mein Erfolg. Und jetzt merke ich, dass das ein Irrtum war.« Sie schneuzt laut in das Taschentuch, das schon sehr durchweicht aussieht. Ich stehe auf und hole ihr aus meiner Handtasche ein neues.
»Aber Finja, natürlich ist sein Erfolg auch dein Erfolg. Ohne dich wäre er doch nie so weit gekommen.« Das sagt man doch in solchen Situationen, oder?
Finja lacht laut auf, was durch ihre verschniefte Nase sehr seltsam klingt. »Quatsch! Das mag zwar menschlich so sein, aber in Wirklichkeit bin ich ohne ihn gar nichts … und er ist ohne mich immer noch Chefarzt.«
»Hmmm.« Darüber habe ich noch nie nachgedacht. »Gibt er dir denn das Gefühl, dass er das genauso sieht?«
Sie schüttelt den Kopf. »Nein, nicht direkt. Aber ich sehe mich so, und das ist fast schlimmer. Ach, Nina … ich möchte wieder die Frau sein, die ich mal war! Und als du an meinem Geburtstag plötzlich mit Dwaine aufgetaucht bist und alle vor den Kopf gestoßen hast, da … da fühlte ich mich auf einmal wieder wie früher, so lebendig, so jung –
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