Saigon - Berlin Thriller
hast du das Ding.« Sie legte die Beretta aufs Bett. »Ich hoffe für dich und mich, dass du damit genauso gut umgehen kannst wie mit deinen Kameras. Sonst leben wir nicht mehr lange.«
Das verstand ich nicht. Nahm die Waffe und entlud sie. Chu schüttelte den Kopf.
»Ich muss jetzt Wäsche waschen. Wie willst du mich mit einer entladenen Waffe beschützen?«
»Warum muss ich dich hier im Hotel beschützen? Und das noch beim Wäschewaschen? Das ging doch bisher auch ohne Waffe. Was ist an diesem Ding so wichtig? Bist du seit dem Tod deiner Eltern komplett verrückt? Siehst du überall nur noch Feinde? Dann bringe ich dich zu einem Arzt. Der wird dich mit euren Heilmitteln schon wieder hinkriegen. Und wenn es Schlangenherzen sind, die du schluckst.«
Kleiner Drache hatte sich verändert. Sie wurde mir unheimlich. Sie ging ihrer Arbeit nach, die sie sich selbst ausgesucht hatte. Ich redete ihr nicht hinein. Aber mit dem Wunsch nach der Waffe hatte ich etwas bei ihr losgetreten, das ich nicht verstand. Eine dumme italienische Automatik mit mehreren Magazinen drängte sich zwischen uns. Drohte unser mühsam aufgebautes Vertrauen zu zerstören. Hatte sie doch die Handgranaten auf Zimmer 125 gezündet?
Meinen Versuch, sie in die Arme zu nehmen, wehrte sie ab.
»Du lädst die Waffe jetzt und begleitest mich zum Wäschewaschen. Sonst such dir dafür eine Chinesin.«
Wie sie jetzt vor mir stand, war sie ein zorniger Kampfdrache. Die Fäuste in die Hüften gestemmt. Den Fuß auf einem Berg dreckiger Wäsche. Wie Napoleon auf einem uneinnehmbaren Feldherrenhügel, der sich sicher war, dass jeder Angriff auf seine Position nur mit hohen Verlusten für den Gegner enden konnte.
Es war sinnlos, mit ihr darüber zu diskutieren. Ich hatte die nutzlose Waffe, sie die Wäsche, die ich brauchte. Und nach Waschküche im Untergeschoss war mir auch nicht. Heißer Dampf. Warm wie in einer Sauna und schnatternde, schwitzende Frauen, die ich nicht verstand.
»Wenn du mir sagst, warum das Ding so wichtig für dich ist, kannst du es zurückhaben. Aber nenn mir einen vernünftigen Grund. Es darf hier im Hotel keine Toten geben. Nicht durch uns Gäste. Verstehst du das?«
Kleiner Drache überlegte und nahm den Fuß vom Feldherrenwäschehügel.
»Na schön. Es geht dich eigentlich nichts an. Aber du erinnerst dich an die Toten durch die Vietcong, als sie nur etwas zu essen haben wollten und auf den Ältestenrat trafen, der über unsere Heirat beriet?«
Ja, ich erinnerte mich an das Massaker mehr, als mir lieb war. Nur die Büffel hatten sie verschont. Den Rest niedergebrannt. Die Kampfmethoden auf beiden Seiten schienen sich angepasst zu haben. Auge um Auge, Zahn um Zahn.
»Meine Eltern kannten diese jungen Kämpfer. Sie haben versucht zu vermitteln. Es war ihre Pflicht, ihre und meine Gäste zu schützen.«
Hilflos ruderte ich mit den Armen. Der Versuch zweier alter Menschen war genauso verunglückt wie meine Dokumentation über das Massaker irgendwo in einem kambodschanischen Dorf. Nur war es damals ein rein politisches Kalkül gewesen. Mord nach Plan. Hier schien es eine Affekthandlung junger Krieger gewesen zu sein, die sich plötzlich ihren Dorfältesten gegenübergesehen hatten. Das Ergebnis war das Gleiche. Vernichtung von Zeugen.
Kleiner Drache sah mir ruhig zu, wie ich durch das Zimmer wanderte. Sie stand über der Wäsche und rührte sich nicht.
Ich ging die Situation im Reisfeld durch. Spulte das, was ich gesehen hatte, noch einmal ab. Und lud die Waffe wieder.
»Verstehe. Die Vietcong haben als Einziges den Peugeot nicht zerstört. Sie wussten, dass du irgendwo in den Feldern sein musstest. Aber sie hatten keine Zeit, dich zu suchen. Also war dein Bruder Kamikaze dabei. Ist das so?«
Kleiner Drache zuckte mit den Schultern, steckte die Waffe ein und verließ mit der Wäsche in einem Strohkorb das Zimmer.
Das musste ich erst einmal verdauen. Alles Spekulation, wehrte ich die sich jetzt überschlagenden Gedanken ab. Kamikaze hatte den Wagen erkannt, den er einmal gefahren hatte, und seine Kollegen davon abgehalten, ihn ebenfalls zu zerstören. Er hatte seiner Schwester ihre einzige Fluchtmöglichkeit gelassen. Dass die Vorgesetzten es nicht dulden würden, dass noch ein Zeuge am Leben war, das war es, was Kleiner Drache zu einer allzeit angespannten Kampfmaschine machte. Die Vietcong hatten sie auf ihre Todesliste gesetzt. Und mich damit auch, fiel mir siedend heiß ein. Und jetzt? Ich konnte mich nicht auch noch
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