Saigon - Berlin Thriller
meine Knie. Der Kotflügel brach unter uns zusammen.
»Ich habe ihnen angeboten, mit nach Saigon zu kommen. Ich gehe auch in Cholon für sie arbeiten. Aber sie wollen lieber hier verhungern. Die Stadt kennen sie nicht. Und es sei alles zu teuer.«
Wir saßen aufeinander im Staub. Auf dem Rost eines französischen Kotflügels.
»Gib ihnen das. Bis sie das verbraucht haben, dürfte der Krieg vorbei sein.« Ich trennte mich schweren Herzens vom Kuvert, das ich als Anzahlung erhalten hatte. Als Judaslohn. Alles was mich noch daran interessierte war, ob die weltweiten Agenturen auf diesen Artikel anspringen würden oder ob nicht doch jemandem bei den Fotos Zweifel kamen, dass die Bilder mit dem Text nicht übereinstimmen konnten.
Kleiner Drache inspizierte den Umschlag mit fünftausend Dollar. Reichte ihn mir zurück und schüttelte den Kopf.
»Das ist ein Vermögen. Das geht so nicht. Mein Vater würde es sofort in Opium umsetzen. Meine Mutter müsste verhungern.« Sie atmete tief durch und sah einer Formation Pelikane nach.
»Seit mein Bruder zu denen übergelaufen ist, stimmt hier nichts mehr. Der Mönch hat allen ins Gewissen geredet, sich nicht an der Gewalt zu beteiligen und ihrer Arbeit nachzugehen. Aber du siehst ja selbst ... was soll man hier denn noch arbeiten? Es gibt keine Zukunft mehr, außer alle Langnasen endlich aus dem Land zu jagen. Egal, was es kostet.«
Das waren böse, wütende und zugleich verzweifelte Worte. Ich fühlte mich schuldig. Schuldig, ein weiteres Massaker dokumentiert zu haben, aber mit diesen Beweisen nichts, aber auch gar nichts erreicht zu haben, als um ein paar Tausend Dollar reicher zu werden.
Eine Entscheidung musste her. Irgendetwas musste ich tun, um wenigstens diese Schuld loszuwerden.
Ich gab ihr das Kuvert zurück.
»C'est ma dot.« Meine Mitgift.
Kleiner Drache rollte mit den Augen. Schlug die Hände vors Gesicht.
»Du, du willst mich heiraten? Ich muss nicht in Cholon arbeiten gehen? Ich kann dieses Land mit dir verlassen, wann immer du gehst?«
So weit hatte ich noch nicht gedacht. Aber ich hatte ihr einen Heiratsantrag gemacht. Dem konnte ich nicht mehr entkommen. Kleiner Drache, mit Familienname »Chu«, würde mich umlegen, bevor ich das Wort Nein aussprach. Ich war ein Idiot. Ein junger Idiot.
»Gut, dann lerne ich Deutsch und du meine Sprache. Abgemacht?«
Sie sprang ihre Eltern an. Küsste und umarmte sie. Schnatterte. Der Vater ließ seine Pfeife fallen. Die Mutter weinte.
Der Vater hatte aus den herumliegenden Einzelteilen einen neuen Auspuff für den Peugeot gebastelt und die Zündkerzen ausgewechselt. Die Mutter war mit dem Karren und den Ochsen stundenlang in den umliegenden Dörfern unterwegs gewesen. Mir war nicht wohl in meiner Haut und ich hatte erst einmal geschlafen. Im Hühnermist des Kastenwagens. Ich war Ehemann einer Partisanin. Oder doch noch nicht. Das Zeremoniell, wie das hier ablief, kannte ich nicht. Na ja. Deutschland war weit weg, tröstete ich mich.
»Aufstehen!«, rief Kleiner Drache Chu und rüttelte mich. »Die Dorfältesten kommen gleich, um unsere Hochzeit zu besprechen. Hier ist dein Geld zurück. Ich habe nur hundert Dollar genommen, um damit Essen und Getränke zu kaufen. Komm. Du musst dich schön machen.«
»Moment ...«, rief ich sie zurück. »Wie läuft das denn jetzt ab? Warum wollt ihr das Geld nicht?«
»Komm du Langnase. Das werde ich dir Stück für Stück erklären. Das Geld wird der Brautmutter erst bei der Heirat überreicht. Dann, wenn alle es sehen. Vorher nicht.«
»Aha«, knurrte ich verschlafen. Es war heiß wie immer. Die Luft flimmerte über den verseuchten Reisfeldern. Aber Mücken wollten sich auch nicht mehr daran wagen. Wenigstens die waren wir los. Oder waren die Insekten inzwischen auch schon schlauer als wir?
»Und jetzt?« Kleiner Drache badete mit mir in einer alten Zinkwanne. Der Vater hatte Holz von irgendwo beschafft. Die Mutter briet und kochte auf der offenen Feuerstelle, was die Glut hergab.
»In einer Stunde kommt der Rat der alten Männer zusammen, um dich zu begutachten. Wenn er dich für gut befindet, wird der Mönch gerufen und der Termin der Hochzeit festgelegt. Gib jedem von ihnen zehn Dollar. Das reicht.«
»Zehn Dollar? Wie viele sind das denn?«
Kleiner Drache zählte laut durch. »Etwa zwanzig. Du darfst jetzt nicht geizig sein. Das gehört einfach dazu.«
Es gehörte einfach dazu. Das konnte ja gut werden.
In meinem jugendlichen Leichtsinn wurde mir langsam, ganz
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