Saigon - Berlin Thriller
nicht kannte. Ich versuchte mir das in Öl gebraten mit Gemüsereis vorzustellen. Eine scharfe Sauce war nicht nötig. Für den Geschmack sorgten die Feuerraupen. Eine Hand voll in den Mund stecken. Nicht einzeln kauen. Dann wurde jedes einzelne Gewürm zu einem Würgereiz. Wie zerkochte Spaghetti. Alles zwischen Zunge und Gaumen zerdrücken. Einspeicheln und schlucken.
Irgendwann später.
Brian hatte sein Unterhemd im Regen ausgewaschen und es nass angezogen.
»Noch nasser geht nicht«, hatte er meinen fragenden Blick beantwortet. »Außerdem, unsere Haut ist wärmer als der Regen. Verdunstungskälte bringt Kühlung auf die Haut.«
»Und warum stehen wir hier noch herum?«, meckerte ich. Seine besserwisserische Art ging mir auf die Nerven. »Sollen wir noch eine Nacht hier verbringen und zum Frühstück gibt es dann wieder gedünsteten Urwald?«
Brian beugte sich über das Lenkrad und verschränkte die Arme darüber. Er blähte die Backen auf und blies die Luft wie ein blubbernder Fisch aus. Der Regen ließ nach. Die Sicht wurde besser.
»Warum fährst du nicht? Alis Vorsprung wird immer größer. Weißt du überhaupt, wohin wir wollen? Ich mache das jedenfalls nicht länger mit. Sonst fahre ich.«
Brian legte den Kopf auf die Arme und sah mich an. Zog die Stirn in Falten.
»So ein Hitzkopf war ich auch einmal. Ist aber schon lange her.« Er sah in den Wald, als erwartete er von den triefenden Blättern eine Antwort, und schüttelte den Kopf. »Ich habe ein schlechtes Gefühl. Ein sehr schlechtes Gefühl.«
Minuten vergingen. Worauf wartete er? Es gab für uns keinen Weg zurück. Den LKW auf diesem matschigen Weg zu wenden und die Rückfahrt anzutreten, wie Ali es empfohlen hatte, war sinnlos. Wir würden uns hilflos festfahren. Brian blickte weiter in den Wald.
»Wartest du auf eine Eingebung deiner Voodoo-Vorfahren oder bist du nur zu feige?«
Brian blieb, wie er war. Über das Lenkrad gebeugt.
»Es ist das Vorrecht der Jugend, Mist zu machen und Mist zu reden. Aber du bist kein Jugendlicher mehr. Du willst Kriegsreporter sein. Aber du bist es noch lange nicht. Du bildest es dir nur ein.«
Er zündete sich eine Zigarette an und spielte mit den Kaumuskeln. Blies den Rauch in die Natur.
»Dass man dir deinen Arsch zerschossen hat, war deine eigene Dummheit. Reiner Lernprozess. Dass du mit deinem Artikel über das Massaker Erfolg hattest, hast du mir zu verdanken. Also glaube ja nicht, dass du jetzt der große Profi bist, nur weil du gelernt hast, wie man hier von Ungeziefer überlebt. Nein. Noch lange nicht. Du musst noch durch eine harte Schule gehen. Und nenne mich nie wieder Feigling ...«
Alles, was ich noch mitbekam, war ein Arm, der mich traf. Dann wurde mir schwarz vor Augen.
Ich hatte von Kleiner Drache geträumt. Etwas schüttelte mich von einem Baum.
»Wach werden. Dies ist kein Taxi.« Die Stimme verdrängte meine Träume und übernahm das zurückkehrende Bewusstsein. Mein Kopf schmerzte. Brians Ellenbogen hatte mich genau an dem Punkt getroffen, der jeden Boxer auf die Bretter schickte.
»Ich sehe nichts.« War ich blind geworden? Um mich war alles weiß mit vereinzelten dunklen Punkten.
»Ich auch nicht«, knurrte Brian. »Das ist der Nebel, der sich manchmal nach Unwettern auch im Urwald bildet. Also steig aus und gehe in Sichtweite vor dem Wagen her. Und lauf ein wenig schneller. Sonst hängen wir die, die du meine Voodoo-Geister genannt hast, nicht ab. Los. Mach schon.«
»Was soll das denn heißen?«, versuchte ich einen Protest. Ich hatte wenig Lust, als Pfadfinder vor dem röhrenden und im Schlamm schlingernden LKW herzulaufen. »Uns folgt jemand? Seit wann?«
Brian nickte. »Schon eine ganze Weile. Ich kann nur hoffen, dass es Einheimische sind. Also gib Gas. Im Dauerlauf, wenn ich bitten darf. Dann kann ich in den nächsten Gang schalten und wir können sie abhängen. Vielleicht ...«, setzte er murmelnd hinzu.
Und ich lief. Die Luft im Urwald war mit der in einer Sauna nach einem Aufguss vergleichbar. Mein Kopf schmerzte. Die Stiefel schmatzten durch knöcheltiefe Pfützen. Die Lungen pfiffen. Atmeten heißen Nebel ein und Kohlenmonoxid aus.
Hinter mir röhrte der Motor. Brian fuhr so dicht auf, dass er mich bei einem Sturz unweigerlich überrollen musste.
Denk an deine Zeit, als du noch Hochleistungssportler warst, versuchte ich mich zu motivieren. Ich war nie schnell gewesen. Für die kurzen Distanzen war ich zu behäbig. Meine Distanz waren die zehntausend
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