Saigon - Berlin Thriller
im Arm schlief ich auf einer Matratze in einer heruntergekommenen Mansarde in irgendeinem Stadtteil von Ostberlin ein. Wenigstens hatte man mich auf dem Hausaltar berücksichtigt. Ich war noch nicht abgeschrieben. Als Mensch und Vater. Jemand hielt mich in Ehren. Ausgerechnet ein Mensch, dem ich keine Zeit meines Lebens gewidmet hatte. Damals. Es war plötzlich alles damals.
»Ich hole dich da raus. Egal, was es mich kostet, und in welcher Scheiße du steckst. Du bist meine Tochter. Ich mache alles wieder gut.«
Mit diesem Gedanken versank ich in einen Schlaf, der noch einige Albträume nach sich ziehen würde. Aber das wusste ich zu dem Zeitpunkt noch nicht. Ich kuschelte mich an ein altes Foto und nahm die Schlafpose eines Fötus ein. Auf der Matratze meiner so fremden Tochter. Würden wir unsere seelischen Wunden jemals heilen können, die uns damals getrennt hatten? Und wenn, wie? Ich wusste es nicht. Würde ich die Ahnen ihrer Familie besänftigen, vielleicht versöhnen können? Es roch nach Opium. Das war ein schlechtes Zeichen.
Krieg. Es war alles nur Krieg. Auch zwischen geliebten Menschen. Wir waren niemals Herr unserer Sinne, wenn die Situation es nicht zuließ.
ZWEITES KAPITEL
S AIGON , 26. D EZEMBER 1968
Der Empfangschef im Hotel Continental, Saigon, Catinat-Straße, blätterte meinen Pass durch. Er hatte nur eine Hand. Die rechte war ihm abhandengekommen. Abgerissen durch Sprengstoff. Die dunklen Narben im verbliebenen Unterarm deuteten darauf hin.
»Gepäck?«
Ich deutete auf meinen etwa 20 Kilo schweren Seesack und meine Kameraausrüstung.
»Einhundertfünfundzwanzig. Erster Stock. Frühstück nur auf Bestellung und gegen Bezahlung. Für den Service wie Bad, Wäsche, Putzen sind Sie selbst verantwortlich. Ich behalte den Kreditbrief Ihres Verlags hier. Guten Aufenthalt.«
Unfreundlicher ging es nicht mehr. Ich war müde. Ein Zweiunddreißigstundenflug hatte mich aus Mittelamerika über Hawaii hierher gebracht. Mit einer Akkreditierung als Kriegsreporter. Zweiundzwanzig Jahre alt. Der Bürgerkrieg in Nicaragua hatte mir schnell beigebracht, dass man nie zu jung zum Sterben ist. Und hier schien wirklich Krieg zu herrschen.
Ausgebrannte Fahrzeuge säumten die Straßen vom Flughafen hierher. Jemand hatte sie einfach auf die Seite geschoben. Überall amerikanische GIs und Soldaten der ARVN, der südvietnamesischen Armee. Ich wusste nicht viel über das Land. Nur, dass es schon unter der Kolonialherrschaft der Franzosen gelitten hatte und die Amerikaner aus Furcht vor dem Kommunismus deren Erbe angetreten hatten.
Das Hotel Continental lag an einer größeren Straßenkreuzung mit einem Springbrunnen. Es war im französischen Kolonialstil des neunzehnten Jahrhunderts erbaut. Drei Stockwerke an der Front, zwei zu den umlaufenden Straßen. Das Erdgeschoss war den repräsentativen Aufgaben vorbehalten. Restaurants, Bars und alles, was Gäste so brauchten, um sich außerhalb ihrer Zimmer zu tummeln.
Die Fenster waren mit Brettern vernagelt. Die Fassade sah wie ein gestrandeter Walfisch aus, dem Tausende von Haifischen im Sterben noch das Fell herausgebissen hatten.
»Ich suche meinen Kollegen Klaus ... äh. Schikowski, Klaus.« Ich erinnerte mich, dass Asiaten ihren Familiennamen immer zuerst nannten.
Der Mann am Empfang sah noch nicht einmal in seine Kladde, um festzustellen, ob es den hier gab.
»In der Bar. Wo er immer ist.« Mehr sagte er nicht. Er hinkte zum nächsten Gast, der auch mit einem Seesack, wie mit einem Hund an der Leine, hereingestolpert kam.
Der passte nun überhaupt nicht hierher. Noch größer als ich, schwarze Hautfarbe.
»Washington Post«, hörte ich noch und machte mich auf die Suche nach dem Kollegen, den ich ablösen sollte.
Die Bar war nicht schwer zu finden. Klaus Schikowski auch nicht. Den Kerl hatte ich nur ein paar Mal gesehen. Aber Wunderdinge als Reporter von ihm im Verlag gehört. Sein Alter war schwer zu schätzen. Er war schon seit 1963 als Kriegsreporter unterwegs. Klein. Drahtig, mit einer Adlernase im Gesicht.
Ein Glas genügte ihm nicht. Es musste gleich eine Flasche Whiskey sein, die vor ihm auf dem Tresen stand. Ansonsten war er damit beschäftigt, an einer Frau herumzufummeln, die ihm zu Diensten zu sein schien.
»Ablösung«, sagte ich und klopfte ihm auf die Schulter. Er roch nach Schweiß. Nach sehr altem Schweiß. Auf seiner Kampfuniform der amerikanischen Armee hatten sich an den exponierten Stellen weiße Kristalle im Stoff gebildet.
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