Saigon - Berlin Thriller
Vernunft.
»Danke. Ich habe es gekauft und bringe es auch selbst aufs Zimmer. Geh du zu deinen Kollegen an die Bar. Vielleicht haben die den Auftrag, den wir beide brauchen.« Mehr hatte sie nicht gesagt.
Die Bar war leer. Meine Kollegen waren im Einsatz. Nur Ali plauderte mit dem Barkeeper Thieu.
»Du hast nur einen Vorzug«, sagte er und sah kurz an mir hinab. »Ich brauche um fünf Uhr deinen Peugeot. Wenn du willst, kannst du mitkommen. Das ist deine letzte Chance, noch einen Einsatz zu bekommen. Die Amis haben für Journalisten, die nicht aus ihren Reihen kommen, dichtgemacht. Willst du oder willst du nicht? Aber komm mir nicht damit, dass du auch noch Geld dafür haben willst. Das verdienst du dir selbst.«
Der Barkeeper wusste oder spürte zumindest, dass zwischen uns eine gewisse Spannung herrschte. Hier mein schlechtes Gewissen, einer Frau den Vorzug gegeben zu haben, dort der Druck des Verlages, in kürzester Zeit Ergebnisse zu liefern. Ich musste härter werden. Noch härter, als ich zu sein glaubte. Aber das schien in der Welt der Profis nur jugendlicher Trotz von mir zu sein. Sie lachten über mich. Alles was ich für sie vorzuweisen hatte, war ein fahrbarer Untersatz. Was hatte ich ansonsten schon vorzuweisen? Erst einen einzigen Einsatz, in dem ich den Helm an der falschen Stelle platziert hatte, und einen Kampfdrachen.
»Ich fahre. Du sagst wohin«, versuchte ich mich aus der Falle ihrer Erfahrungen zu retten.
Ali nickte. »Gut. Ich brauche einen Fotografen. Aber das kann ich dir gleich sagen, den Artikel schreibe ich. Also, fünf Uhr.«
Es gab wieder elektrischen Strom. Der Ventilator zerteilte wie gewohnt die stickige Luft. Kleiner Drache hatte zusätzlich alle Kerzen angezündet und das Zimmer wie einen Weihnachtsbaum dekoriert. Überall hingen Kleidungsstücke. Am Schrank. Über dem Waschbecken, über den geöffneten Fenstern, oder sie lagen auf dem Bett. Rote, blaue, gelbe Blusen und Röcke. Teils mit, teils ohne Drachenmuster.
»Was soll das denn?« Mir war heute nicht nach Modenschau.
»Das ist nur das Vorspiel«, lachte sie. »Jetzt kommt das, was ich dir mitgebracht habe. Du hast kein christliches Weihnachten gehabt. Und da beschenkt man doch seine Familie, nicht wahr?«
Sie setzte sich auf meine Knie und sah mich mit ihren braunen Augen an. Was sollte ich darauf sagen?
»Ja, man beschenkt einander zu Weihnachten. Aber das ist doch längst vorbei. Ich will auch nichts.«
Kleiner Drache vergewaltigte mich geradezu mit ihren Küssen. Dann bewarf sie mich mit Tüten und lachte. Sie lachte, als habe sie eine Geheimwaffe für mich gefunden.
»Du bist ein Dummkopf. Aber ein lieber. Ich schenke dir nichts was du willst, sondern das, was du brauchst. Pack aus.«
»Na gut«, seufzte ich. Packte die Tüten aus. Je mehr zum Vorschein kam, umso mehr drängte sich mir die Frage auf, woher sie das Geld hatte. Ich konnte einfach nicht anders, als mir vorzustellen, dass sie in der Zeit ihrer Abwesenheit mal eben mit jemandem ins Bett gegangen war. Das Zeug kostete mindestens 500 Dollar. Zwei komplette Kampfanzüge. Hemden. Unterwäsche. Zwei Paar neue Armeestiefel, wie sie die Soldaten trugen. Socken. Verbandszeug. Koppel und ...
»Spinnst du jetzt? Du weißt, dass das für Journalisten verboten ist.«
Ich wog zwei Gegenstände in den Händen. Links war eine Beretta Automatik. Rechts zehn Magazine. Das waren achtzig Schuss. Die durfte ich als Journalist nicht besitzen. Ich war kein Soldat.
Kleiner Drache nahm mir das Kriegsspielzeug ab.
»Weiß ich. Dient nur unserer Verteidigung. Ich habe sie gegen den Revolver eingetauscht. Der ist den Sampans lieber. Er hinterlässt keine Hülsen. Aber diese kleine Waffe ist für mich leichter und schneller zu laden.«
Ich hatte es wirklich mit einem Kampfdrachen zu tun, der dabei war, mich zu seinem Komplizen zu machen. Zu unserer Verteidigung. Wer war damit gemeint? Ich ahnte, dass ich von der Familie in Beschlag genommen worden war. Zwei Wasserbüffel hatten gereicht, um unwissentlich adoptiert zu werden.
»Aber das darfst und musst du mitnehmen.« Sie hielt mir etwas hin, das wie der Griff eines abgebrochenen Messers aussah. Hölzerne Griffschalen. Nur die Klinge fehlte. Sie drückte auf eine Stelle am Schaft. Die Klinge schnappte heraus. Ein Klappmesser. Noch ein Druck und die Klinge verschwand wieder.
»Das ist aber noch nicht alles.« Sie spielte mit dem Mordwerkzeug. Drückte auf den hinteren Schaft. Ein Dorn schoss heraus. Etwa zwanzig
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